Leitsatz (amtlich)
1. Über den Wortlaut von § 142 Abs. 2 AktG hinaus ist zwar nicht jeder Verdacht, sondern nur ein qualifizierter Verdacht ausreichend, um die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers entgegen dem Votum der Mehrheit der Aktionäre in der Hauptversammlung begründen zu können.
2. Steht fest, dass voraussichtlich in den nächsten Monaten eine Verwertung beschlagnahmter Unterlagen nicht stattfinden kann und damit auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass den Antragstellerinnen bereits durch die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften ausreichende Erkenntnisse, die die Bestellung eines Sonderprüfers entbehrlich machten, vermittelt werden, ist die Bestellung eines Sonderprüfers nicht unverhältnismäßig.
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 15 O 28/16) |
Nachgehend
Tenor
Es ist zu prüfen, ob Vorstand und Aufsichtsrat der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der sogenannten Abgasthematik seit dem 22. Juni 2006 ihre Pflichten verletzt und der Antragsgegnerin einen Schaden zugefügt haben, insbesondere wann der Vorstand erstmals Kenntnis von der sogenannten Abgasthematik hatte oder hätte haben müssen und ob der Vorstand gegen die ad-hoc-Publizitätspflicht verstoßen hat, indem er den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig über die sogenannte Abgasthematik aufklärte.
Zum Sonderprüfer wird bestellt: Wirtschaftsprüfer/Steuerberater R. R., c/o ..., in D.
Die Gerichtskosten und die Kosten der Sonderprüfung trägt die Antragsgegnerin.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert wird auf 500.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die jeweils durch die D. S. f. W. vertretenen Antragstellerinnen sind drei Fonds amerikanischen Rechts, die unstreitig in das Quorum für eine Sonderprüfung übersteigender Zahl Aktien der Antragsgegnerin halten. Ihre in der Hauptversammlung der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2016 erfolglos gebliebenen Anträge auf Bestellung eines Sonderprüfers gemäß § 142 Abs. 1 AktG verfolgen die Antragstellerinnen nunmehr gemäß § 142 Abs. 2 AktG weiter.
Hintergrund der Anträge der Antragstellerinnen ist die Verwendung einer Software in von der Antragsgegnerin hergestellten und vertriebenen Diesel-PKW, die erkannte, wann Fahrzeuge sich im Prüfzyklus befanden und die nur für diesen Fall dazu führte, dass die vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte eingehalten wurden ("defeat device").
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Anträge auf Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers zurückgewiesen.
Es hat gemeint, die Anträge seien unbegründet. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die Einsetzung eines Sonderprüfers vor, die Anträge seien insgesamt auch nicht rechtsmissbräuchlich. Es fehle aber an den materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG. Es fehle zwar nicht an Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigten, dass bei den zu untersuchenden Vorgängen Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorgekommen seien. In ausreichender Weise hätten die Antragstellerinnen in ihrer Antragsschrift mehrere Vorgänge aus den Jahren 2006 bis 2015 geschildert, wonach Organe der Antragsgegnerin von der "defeat device" Kenntnis erhalten haben könnten, was für den erforderlichen Verdacht nach § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG ausreiche, was näher ausgeführt wird. Dann, wenn der Einbau der "defeat device" über mehr als zehn Jahre von Organen der Antragsgegnerin unentdeckt geblieben sein sollte, folge daraus zwangsläufig, dass es auf der Compliance-Ebene der Antragsgegnerin zu schweren Versäumnissen gekommen sei.
Allerdings habe die Sonderprüfung wegen Unverhältnismäßigkeit zu unterbleiben, weil die im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Fragen Gegenstand von Untersuchungen der von der Antragsgegnerin beauftragten Anwaltskanzlei J. D. seien. Nach durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sei zweifelhaft, ob durch die Bestellung eines Sonderprüfers noch zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei.
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen (Bl. 384 f. d. A.),
1. den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 23.6.2017, Az. 15 O 28/16 aufzuheben, und
a) einen Sonderprüfer zu bestellen gemäß § 142 Abs. 2 AktG zur Prüfung der Fragen, ob Vorstand und Aufsichtsrat der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der sogenannten Abgasthematik seit dem 1.1.2005 ihre rechtlichen Pflichten verletzt und der Gesellschaft einen Schaden zugefügt haben, insbesondere wann der Vorstand erstmals Kenntnis von der sogenannten Abgasthematik hatte oder hätte haben müssen und ob der Vorstand gegen die ad-hoc-Publizitätspflicht verstoßen hat, indem er den Kapitalmarkt nicht rechtzeitig über die sogenannte Abgasthematik aufklärte;
b) als Sonderprüfer wird die B. ... AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, D. (Herr Wirtschafts...