Entscheidungsstichwort (Thema)

Europäische Dienstleistungsrichtlinie wirkt sich auf Vertragsverhältnisse, die vor dem 28.12.2009 entstanden sind, nicht aus. Ein Verstoß der HOAI gegen die Niederlassungs- und/oder Dienstleistungsfreiheit ist bei innerstaatlichen Sachverhalten von den nationalen Gerichten grundsätzlich nicht zu prüfen. Im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung findet der verbindliche Preisrahmen der HOAI 2009 und 2013 keine Anwendung.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Dienstleistungsrichtlinie findet keine Anwendung auf Vertragsverhältnisse, die während der Umsetzungsfrist der Richtlinie gem. Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt vor dem 28. Dezember 2009 entstanden sind. Das Urteil des europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 - C-377/17 - betrifft daher grundsätzlich keine Sachverhalte, auf die die HOAI 1996/2002 Anwendung findet.

2. Ein der HOAI 1996/2002 unterfallender rein innerstaatlicher Sachverhalt ist grundsätzlich nicht gem. Art. 49 AEUV (ehemals Art. 43 EGV - Niederlassungsfreiheit) und auch nicht gem. Art. 56 AEUV (ex-Artikel 49 EGV - Dienstleistungsfreiheit) auf seine diesbezügliche Vereinbarkeit mit europäischem Recht zu überprüfen (entgegen OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.01.2020 - 21 U 21/19).

3. Mit der auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 - C-377/17 - in die Wege geleiteten Änderung des ArchLG und der HOAI (Entfall der Mindest- und Höchstsätze) hat der Gesetz-/Verordnungsgeber gezeigt, welche Regelung er getroffen hätte, wenn er erkannt hätte, dass die Mindestsätze der HOAI 2009 und 2013 gegen höherrangiges EU-Recht verstoßen. Zusammen mit der vom EuGH positiv festgestellten Europarechtswidrigkeit liegt somit eine für eine teleologische Reduktion erforderliche planwidrige Regelungslücke vor.

4. Im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung findet der verbindliche Preisrahmen der HOAI 2009 und 2013 auch "zwischen Privaten" keine Anwendung (entgegen BGH, Beschl. v. 14.05.2020 - VII ZR 174/19; OLG Dresden, Beschl. v. 30.01.2020 - 10 U 1402/17; OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2019 - I-21 U 24/18).

 

Normenkette

AEUV Art. 49, 56; HOAI 1996 § 4; HOAI 2009 § 7; HOAI 2013 § 7

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 3 O 18/19)

 

Tenor

I. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass sich nach vorläufiger rechtlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage diese wie folgt darstellt:

1. Der Senat ist gegenwärtig der Ansicht, dass der Vertrag vom 21.09.2008, entgegen den Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, nicht gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden: EuGH) vom 04.07.2019 (Az.: C-377/17) wird für nicht einschlägig erachtet. Es dürfte weiterhin die HOAI 1996 mit ihren Mindestsätzen gelten und die Pauschalhonorarvereinbarung wegen Unterschreitung der Mindestsätze unwirksam sein.

Auf Grundlage des Art. 5 des Euro-Einführungsgesetzes erfolgte zum 01.01.2002 die Währungsumstellung der HOAI auf EUR, eine Novelle war damit nicht verbunden (BR-Drs. 56/01). Deshalb wird im Folgenden nur von der HOAI 1996 gesprochen.

a) Richtlinien enthalten finale Vorgaben für die Mitgliedstaaten, die diese durch Akte der Umsetzung zu realisieren haben. Sie enthalten eine Umsetzungsfrist. Vor Ablauf dieser Frist entfaltet eine Richtlinie bereits insofern Rechtswirkungen, als die Mitgliedstaaten Rechtshandlungen zu unterlassen haben, die den angestrebten Erfolg vereiteln können. Diese sog. Vor- oder Sperrwirkung leitete der EuGH für Richtlinien aus Art. 249 Abs. 3 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 EGV ab (jetzt Art. 288 Abs. 3 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV) (Calliess/Ruffert/Ruffert, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 23). Dies ergibt sich für die Dienstleistungsrichtlinie aus Art. 15 Abs. 6. Die Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich bis zum Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Frist mit deren Umsetzung warten (Streinz/W. Schroeder, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 68).

 

Gründe

Der streitgegenständliche Fall (Vertragsschluss vom 21.09.2008) spielt sich zwischen dem Erlass der Richtlinie (12.12.2006) und dem Ablauf der Umsetzungsfrist (28.12.2009) ab. Gründe, der Dienstleistungsrichtlinie hier bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist Rechtswirkungen zukommen zu lassen, sind unter Zugrundelegung der Ausführungen im Absatz zuvor nicht ersichtlich. Die HOAI 1996 wurde bereits vor der Dienstleistungsrichtlinie erlassen, sodass es sich gerade nicht um eine Maßnahme handelt, die die Umsetzung der Richtlinie zwischen Erlass und Umsetzungsfrist vereiteln könnte.

Es handelt sich hier also um den Regelfall, dass eine Richtlinie vor Fristablauf keine unmittelbare Wirkung entfaltet (EuGH, Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629, Rn. 43 f., Ratti; GA Jacobs, Schlußantr. zu EuGH, Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5567, Ziff. 18 ff., Hansa Fleisch Ernst Mundt; Rs. C-316/93, Slg. 1994, I-763, Rn. 16 ff., Vaneetveld).

Auch wenn die Dienstleistungsrichtlinie nach Fristablauf...

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