Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluss einer Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen ist wegen objektiver Willkür nicht bindend, wenn sich der Beschluss nicht mit dem offenkundigen und der Kammer bekannten Problem auseinandersetzt, dass nicht alle Beklagten einen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen gestellt haben.
Normenkette
ZPO § 281; GVG §§ 98, 102
Verfahrensgang
LG Stade (Aktenzeichen 3 O 277/08) |
LG Stade (Aktenzeichen 8 O 176/09) |
Tenor
Das LG - Kammer für Handelssachen - Stade ist zuständig.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus unterschiedlichsten Rechtsgründen von den vier Beklagten.
Die Beklagte zu 1 ist die ehemalige Komplementärin und Geschäftsführerin der Klägerin. Die Beklagten zu 2 und 3 waren zum streitgegenständlichen Zeitraum die Geschäftsführer der Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 4 ist die Muttergesellschaft der Beklagten zu 1. Die Klägerin erhob Klage zu einer Zivilkammer des LG Stade. Nach einem Hinweis der zuständigen Einzelrichterin beantragten die Beklagten zu 1, 2 und 4 die Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen. Die Beklagte zu 3 stellte zunächst weder einen Antrag noch äußerte sie sich zu dem Hinweis der Einzelrichterin. Nach Anhörung der Beklagten verlängerte die Einzelrichterin mit Verfügung vom 22.4.2009 die Replikfrist bis zum 11.6.2009.
Mit Beschluss vom 22.6.2009 verwies die 3. Zivilkammer des LG Stade auf die gestellten Anträge hin den Rechtsstreit an die zuständige Kammer für Handelssachen des LG Stade mit der Begründung, dass Ansprüche aus dem Verhältnis zwischen einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft bzw. deren Mitgliedern geltend gemacht würden.
Die Kammer für Handelssachen erklärte sich unter dem 25.6.2009 für funktionell unzuständig. Zur Begründung hat die Kammer für Handelssachen angegeben, dass der Verweisungsbeschluss der Zivilkammer deswegen nicht bindend sei, weil nicht sämtliche Beklagten einen rechtzeitigen Verweisungsantrag nach den §§ 98, 101 GVG gestellt hätten. Eine Begründung dafür, warum bei vier Beklagten Anträge von nur drei Beklagten für eine Verweisung zur Kammer für Handelssachen ausreichen würde, hätte das LG nicht vorgenommen. Eine Prozesstrennung gem. § 145 ZPO sei nicht erfolgt.
Mit dem oben genannten Beschluss hat die Kammer für Handelssachen des LG Stade das OLG Celle um Bestimmung der zuständigen Kammer ersucht.
Mit Schriftsatz vom 30.6.2009 hat auch der Beklagte zu 3 die Verweisung an die Kammer für Handelssachen beantragt. Die Verspätung des Antrags hat der Prozessbevollmächtigte mit einer versehentlichen Löschung des eigentlich gewollten und mit den anderen Beklagten abgesprochenen Antrags auf Verweisung durch das Büropersonal begründet. Dies sei ihm bei der Überarbeitung und Ausfertigung des 57 Seiten langen Schriftsatzes nicht aufgefallen.
Der Senat hat das Verfahren daraufhin zunächst dem LG - Kammer für Handelssachen - zurückgesandt, ob nach dortiger Auffassung genügend Gründe für eine Entschuldigung der Verspätung gem. § 101 GVG i.V.m. § 296 Abs. 3 ZPO vorliegen. Dies hat die Kammer für Handelssachen - nachdem die Klägerin auf Anfrage ihre Zustimmung zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dieser Kammer nicht erteilt hat - mit Beschluss vom 6.8.2009 verneint und die Sache dem OLG erneut vorgelegt.
II.1. Das OLG ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog zur Entscheidung für die Frage zuständig, ob die Zivilkammer oder die Kammer für Handelssachen zuständig ist. Beide Kammern haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.
2. Der Senat hat die Kammer für Handelssachen des LG Stade für zuständig bestimmt.
a) Die Zuständigkeit ergibt sich allerdings nicht aus dem Verweisungsbeschluss der Zivilkammer vom 22.6.2009. Dieser ist nicht bindend.
aa) Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27.5.2008 - X ARZ 45/08 m.w.N. - aus juris). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z.B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273; NJW 2002, 3634).
Bei einer Verweisung des Rechtsstreits durch eine Zivilkammer an eine Kammer für Handelssachen ist der Maßstab der Bindung § 10...