Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Krankenversicherung: Beitragsanpassung in einem ausschließlich der Beitragsentlastung im Alter dienenden Tarif

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur akzessorischen Rechtsnatur eines ausschließlich der Beitragsentlastung im Alter dienenden Tarifs in der privaten Krankenversicherung.

2. Ist ein Beitragsentlastungstarif in der privaten Krankenversicherung akzessorisch zu einer Hauptversicherung, bei welcher das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen ist, so richtet sich eine Beitragsanpassung im Beitragsentlastungstarif nach § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG.

3. In den Versicherungs- oder Tarifbedingungen enthaltene Beitragsanpassungsklauseln, die von den Vorgaben der § 203 Abs. 2 VVG, § 155 VAG abweichende Voraussetzungen für eine Beitragsanpassung in einem Beitragsentlastungstarif vorsehen (hier: Einführung einer neuen Sterbetafel in der Pflegepflichtversicherung ohne Notwendigkeit der Überschreitung eines Schwellenwerts), sind gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1; VAG § 155; VVG § 40 Abs. 1, § 203 Abs. 2, § 206 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 23.04.2021; Aktenzeichen 6 O 155/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.01.2024; Aktenzeichen IV ZR 51/22)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Parteien wird das am 23. April 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Vers.-Nr. 4923907667 nicht wirksam geworden sind:

  • im Tarif VISION 1 um 63,31 EUR zum 1. Januar 2011 bis zum 1. Dezember 2013,
  • im Tarif VITAL 750 um 86,90 EUR zum 1. Januar 2015 bis zum 31. März 2021,
  • im Tarif BEA-U um 2,55 EUR zum 1. Januar 2015,
  • im Tarif BEA-U um 29,00 EUR zum 1. Januar 2019,
  • im Tarif BEA-U um 0,97 EUR zum 1. Januar 2020.

2. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages aus den folgenden Beitragserhöhungen verpflichtet ist:

  • im Tarif VISION 1 um 63,31 EUR zum 1. Januar 2011 bis zum 1. Dezember 2013,
  • im Tarif VITAL 750 um 86,90 EUR zum 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016,
  • im Tarif BEA-U um 2,55 EUR zum 1. Januar 2015 bis zum 1. Mai 2015,
  • im Tarif BEA-U um 29,00 EUR zum 1. Januar 2019,
  • im Tarif BEA-U um 0,97 EUR zum 1. Januar 2020.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 677,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2020 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 29. Dezember 2020 aus den Prämienanteilen gezogen hat, die der Kläger ab dem 1. Januar 2017 auf die unter Ziffer 2 aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 98 % und die Beklagte 2 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 89 % und die Beklagte 11 %.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird für den Rechtsstreit erster Instanz unter Abänderung der Festsetzung im angefochtenen Urteil auf 29.020,26 EUR und für das Berufungsverfahren auf 6.371,89 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung mit unter anderem den Tarifen VISION 1, VITAL 750, 806 und BEA-U.

Für den Tarif BEA-U ist zum Thema Beitragsanpassung in den Besonderen Bedingungen für die Beitragsentlastung im Alter für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (Hauptversicherung) (Anlage B. 2, Anlagenband Beklagte) unter Buchstabe D vereinbart:

"Wird auf Grundlage des § 8b Teil 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Pflegepflichtversicherung eine neue Sterbetafel eingeführt, so werden auch im Tarif BEA-U die Rechnungsgrundlagen überprüft und ggf. mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders angepasst."

Streitgegenständlich sind folgende Beitragserhöhungen durch die Beklagte:

Tarif

Stichtag

Beitrag alt

Beitrag neu

Erhöhung

VISION 1

1.1.2011

457,50 EUR

520,81 EUR

63,31 EUR

VITAL 750

1.1.2015

245,69 EUR

332,59 EUR

86,90 EUR

BEA-U

1.1.2015

232,68 E...

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