Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensminderungspflicht des Unfallgeschädigten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann ein Verkehrsunfallgeschädigter im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht verpflichtet ist, den Schaden aus eigenen Mitteln, z. B. durch Kreditaufnahme oder Inanspruchnahme einer bestehenden Vollkaskoversicherung vorzufinanzieren.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 254; StVG § 7; VVG § 115

 

Verfahrensgang

LG Stade (Entscheidung vom 15.11.2017; Aktenzeichen 2 O 199/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. November 2017 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.564,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2017 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 48 % und die Beklagte 52 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist im tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte noch einen Anspruch auf Erstattung der durch den Verkehrsunfall vom 6. Juli 2016 entstandenen Mietwagenkosten in Höhe von 3.564,22 EUR gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 ff. BGB.

1. Der Kläger hat nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen.

Der Kläger ist unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nicht generell gehalten, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, um die Anmietzeit eines Ersatzfahrzeugs zugunsten des Schädigers möglichst kurz zu halten.

a) Das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Urteil vom 15. Juni 2017 (9 U 3/17 - juris Rn. 6 ff.) hierzu entschieden:

"Die Auffassung der Beklagten, dass ein Geschädigter unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht generell gehalten sei, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

(...)

Nach Auffassung des BGH ist der Geschädigte im Rahmen der ihm nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht nicht stets gehalten, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Dies muss vielmehr im Einzelfall von der Sache her geboten und ihm auch zuzumuten sein. Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Die Rechtsprechung hat eine solche Pflicht nur ausnahmsweise bejaht. Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen. Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt dabei der Schädiger, wie es umgekehrt zu Lasten des Geschädigten geht, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt wird (BGH, Urteil vom 26.05.1988, III ZR 42/87, zitiert nach Juris). Allenfalls kann eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen, ausnahmsweise dann bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (BGH, Urteil vom 18.02.2002, II ZR 355/00, zitiert nach Juris). Nach diesen Grundsätzen ist es die Regel und nicht etwa die Ausnahme, dass der Geschädigte die Reparatur nicht vorfinanzieren muss. Zunächst ist es Aufgabe des Schädigers bzw. des gesamtschuldnerisch mit ihm haftenden Versicherers, für eine umgehende Reparatur und für die Vermeidung von weiteren Kosten zu sorgen."

b) Angesichts des unstreitigen (niedrigen) Renteneinkommens des Klägers von lediglich ca. 800,00 EUR monatlich liegt es auf der Hand, dass er kein Darlehen in Höhe der Reparaturkosten von über 9.500,00 EUR erhalten hätte. Jedenfalls wäre ihm die Aufnahme eines solchen Darlehens auf eigenes Risiko nicht zumutbar gewesen. Insofern bedurfte es keines weiteren Vortrages des Klägers zu seinen Einkommensverhältnissen bzw. Bemühungen um die Erlangung eines entsprechenden Darlehens.

2. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, zur Ermöglichung eines sofortigen Reparaturbeginns seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen.

a) Auch hierzu verhält sich das o. g. Urteil des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. Juni 2017 (9 U 3/17 - juris Rn. 13 ff.):

"Seine gegenteilige Auffassung hat das Landgericht auf eine Entscheidung des OLG Naumburg vom 19.02.2004, 4 U 146/03, gestützt. Diese Entscheidung des OLG Naumburg aus dem Jahr 2004 ist in späteren Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte...

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