Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarrechtlicher Beseitigungsanspruch gegen Hoheitsträger

 

Leitsatz (amtlich)

Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB und das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB bestehen ohne Vorrangsverhältnis des einen oder anderen Rechtes nebeneinander.

§ 32 NStrG begründet ggü. dem nachbarlichen Hoheitsträger keine Duldungspflicht i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB. Vielmehr bildet das private Nachbarrecht und nicht das öffentliche Recht die Grundlage des Beseitigungsanspruchs.

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 08.04.2004; Aktenzeichen 3 O 232/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung seines weiter gehenden Rechtsmittels wird das am 8.4.2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Stade teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, Zweige und Äste der auf dem Grundstück des Beklagten östlich der Kreisstraße ... in der Gemarkung W. entlang der Grenze zum Flurstück ... der Flur ... des Klägers befindlichen Laubbäume und Büsche an der Grenze bis zur Höhe von 4 m abzuschneiden und zu entsorgen, soweit anderenfalls die Nutzung des Grundstücks des Klägers erheblich beeinträchtigt würde.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits aus beiden Rechtszügen einschließlich derjenigen des selbstständigen Beweisverfahrens 8 H 7/01 AG L. haben der Kläger 35 % und der Beklagte 65 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und die Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gem. den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Klägers hat überwiegenden Erfolg.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist entgegen der Auffassung des LG begründet. Den mit der Klage verfolgten Zahlungsantrag hat das LG mit Recht abgewiesen.

1. Entgegen der Auffassung des LG steht dem Kläger der im Rahmen des Feststellungsantrags geltend gemachte Beseitigungsanspruch wegen überhängender Zweige nach den §§ 1004, 910 BGB zu.

a) Nach den zwischen den Parteien inzwischen auch unstreitigen Feststellungen des Sachverständigen V. in dem selbstständigen Beweisverfahren AG L. 8 H 7/01 ragen die am Rand der Kreisstraße ... des Beklagten gepflanzten Bäume mit ihren Ästen bis zu 4 m über die Grenze in das Grundstück des Klägers hinein. Sie erschweren dadurch jedenfalls bis in eine Höhe von ca. 4 m die landwirtschaftliche Bearbeitung der Wiese am Rand durch Maschineneinsatz. In tatsächlicher Hinsicht sind damit sowohl die Voraussetzungen einer Beeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB als auch einer Nutzung des Grundstücks des Klägers i.S.v. § 910 Abs. 2 BGB erfüllt.

Der damit dem Kläger grundsätzlich zustehende Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch rechtlich nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass ihm das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB zusteht. Im Schrifttum wird zwar teilweise die Auffassung vertreten, dass § 910 BGB allein ein Selbsthilferecht des gestörten Eigentümers begründe, dagegen keinen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB. Demgegenüber hat der BGH schon in seiner in BGHZ 60, 235 [241] (BGH BGHZ 60, 235 [241] = NJW 1973, 703) veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass wegen des Grundgedankens des § 903 BGB und auch deshalb, weil dem durch Baumwurzeln oder anderen Überhang beeinträchtigten Grundstückseigentümer dasselbe Abwehrrecht zustehen muss wie demjenigen, dessen Eigentum in anderer Art beeinträchtigt wird, das Selbsthilferecht des Eigentümers nach § 910 Abs. 1 S. 1 BGB den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ausschließt, beide Rechte bzw. Ansprüche vielmehr gleichrangig nebeneinander stehen. Diese Rechtsprechung hat der BGH wiederholt bestätigt (BGH v. 7.3.1986 - V ZR 92/85, BGHZ 97, 231 = MDR 1986, 742 = NJW 1986, 2640; sowie zuletzt BGH v. 28.11.2003 - V ZR 99/03, MDR 2004, 504 = BGHReport 2004, 437 = NJW 2004, 603, dort auch jeweils unter Nachweis der teilweise abweichenden Stimmen im Schrifttum). Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt sich der Senat an.

b) Der Beseitigungsanspruch des Klägers ist auch nicht deshalb unbegründet, weil er mit Rücksicht auf die Bestimmung in § 32 NStrG den Überhang zu dulden hätte.

Für den Bereich der zumindest ähnlichen landesgesetzlichen Regelungen in NRW haben zwar einige Gerichte die gegenteilige Auffassung (so LG Aachen v. 15.1.1986 - 4 O 317/85, VersR 1986, 397; OLG Düsseldorf v. 5.5.1988 - 18 U 7/88, NWVBl 1988, 278 - letztere Entscheidung aber gerade durch den BGH in BGH v. 8.3.1990 - III ZR 141/88, MDR 1991, 228 = NJW 1990, 3195 aufgehoben) vertreten. Gegen sie spricht jedoch zumindest für den Bereich des Niedersächsischen Landesstraßengesetzes, dass § 32 NStrG schon seinem Wortlaut nach für eine Duldungspflicht des Klägers i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB aufgrund dieser Vorschrift nichts hergibt, weil diese Bestimmung e...

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