Leitsatz (amtlich)
1. Die in Ausübung des einseitigen Preisbestimmungsrechts des Gasversorgers vorgenommenen Preiserhöhungen unterliegen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Der Billigkeitskontrolle entzogen sind dagegen diejenigen Preise, die auf einer beidseitig getroffenen Vereinbarung beruhen. Dazu gehören auch die aus einer unbeanstandet gebliebenen Preiserhöhung folgenden Preise.
2. Die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die Tarifkunden entspricht im Grundsatz der Billigkeit. Durch solche Preiserhöhungen nimmt das Gasversorgungsunternehmen sein berechtigtes Interesse wahr, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die Kunden weiter zu geben.
3. Das Gasversorgungsunternehmen trägt auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Steigerung von Gasbezugskosten nicht durch anderweitige Kostensenkungen in der Gassparte kompensiert wurden.
Normenkette
BGB § 315; EnWG § 36 Abs. 1; AVBGasV § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 29.06.2007; Aktenzeichen 5 O 118/06) |
Tenor
Die Berufungen der Kläger zu 1 bis 8 und 10 gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Verden vom 29.6.2007 (5 O 118/06) werden zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 9 hat ihre Berufung gegen das Urteil des LG durch Rücknahme verloren.
Von den Gerichtskosten der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme tragen die Kläger zu 1 bis 8 und 10 je 1/9. Von den übrigen Gerichtskosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin zu 9 1/20. Von den restlichen 19/20 trägt jeder der übrigen Kläger 1/9.
Von den in den Berufungsinstanz angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt jeder Kläger 1/10.
Ihre eigenen in der Berufungsinstanz angefallenen außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für die Zeit bis zum 12.10.2006 auf 4.800 EUR und für die Zeit ab dem 13.10.2006 auf 4.200 EUR festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Beklagte ist Gasversorgerin für die Privathaushalte der Kläger. Den Lieferungen liegen von der Beklagten oder ihren Rechtsvorgängern mit den Klägern zu 1 bis 7 und dem Kläger zu 10 jeweils geschlossene Verträge zugrunde. Die Klägerin zu 8 ist die Ehefrau des Klägers zu 7. Die Klägerin zu 9 ist Lebensgefährtin des Klägers zu 10 (Bl. 596 d.A.). Gegenstand aller Verträge ist die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV). Alle Kläger sind aufgrund der jährlichen Durchschnittsverbrauchszahlen in den sog. Vollversorgungstarif eingestuft.
Die Beklagte teilte Ende September 2005 in der örtlichen Presse mit, dass sie die allgemeinen Tarifpreise zum 1.10.2005 anpasse, da die seit Beginn des Jahres entstandenen Bezugskostensteigerungen eine Anhebung des Arbeitspreises um 0,58 ct/kWh einschließlich Mehrwertsteuer (0,50 ct/kWh netto) erforderten. Die Grund- und Messpreise blieben unverändert. Nach der Tariferhöhung zum 1.10.2005 betrugen die den Klägern in Rechnung gestellten Arbeitspreise 4,52 ct/kWh (3,90 ct/kWh netto). Zum 1.1.2006 machte die Beklagte eine weitere Erhöhung des Arbeitspreises um 0,58 Cent/kWH einschließlich Mehrwertsteuer bekannt, nunmehr auf 5,10 ct/kWh.
Die Kläger haben die Ansicht vertreten, dass die Beklagte mangels einer vertraglichen Regelung nicht berechtigt sei, die Gaspreise anzupassen. Hilfsweise haben sie geltend gemacht, dass die Änderungen der Tarife nicht verbindlich seien, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, dass die neuen Tarife der Billigkeit entsprächen (§ 315 Abs. 3 BGB). Die Kläger haben beantragt festzustellen, dass die von der Beklagten in den zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsverträgen zum 1.10.2005 und zum 1.1.2006 vorgenommenen Erhöhungen der Gastarife unbillig und unwirksam seien.
Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, § 315 Abs. 3 BGB sei auf die streitbefangenen Tariferhöhungen nicht anwendbar. Jedenfalls seien die Erhöhungen angemessen. Die Beklagte habe an die Verbraucher nur einen Teil ihrer gestiegenen Beschaffungskosten weitergegeben. Die Angemessenheit der Tariferhöhungen ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte bundesweit zu den günstigsten Gasanbietern gehöre. Zudem habe das Kartellamt die Preise nicht beanstandet.
Das LG hat die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin zu 9 sei nicht aktivlegitimiert. Im Übrigen habe die Beklagte nachgewiesen, dass die Gaspreiserhöhungen zum 1.10.2005 und zum 1.1.2006 der Billigkeit i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB entsprächen. Das Gericht habe sich anhand der von der Beklagten vorgelegten Bescheinigung der G., P. und Partner Treuhandgesellschaft mbH vom 31.10.2005 davon überzeugen können, dass die Beklagte lediglich ihre gestiegenen Bezugskosten an die Kunden weitergegeben habe. Aufgrund der Erhöhungen zum 1.10.2005 und zum 1.1.2006 sei der Tarif um 1 ct/kWH netto angestiegen. Demgegenüber hätten sich die Einkaufspreise der Beklagten im Zeitraum vom 1.10.2004 bis zum 1.10.2005 um 1,07301 ct/kW...