Leitsatz (amtlich)
1. Der Unternehmer hat auch nach Kündigung des Bauvertrages durch den Besteller infolge Insolvenz des Unternehmers einen Anspruch auf Sicherheit nach § 648a BGB, auch wenn der Unternehmer keine Vorleistungen mehr erbringen muss.
2. Die Höhe der vom Unternehmer nach Kündigung des Vertrages zu beanspruchenden Sicherheit richtet sich nach der vereinbarten Vergütung, die um geleistete Abschläge zu reduzieren ist. Einer Klärung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Unternehmer noch ein Restwerklohnanspruch zusteht, bedarf es daher nicht.
3. Vom Besteller behauptete Gegenforderungen wegen Mängeln, Verzugs und Mehrkosten durch Drittunternehmerkosten sind nur zu berücksichtigen, wenn sie unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind.
Normenkette
BGB n.F. § 648a
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 18.10.2011; Aktenzeichen 5 O 113/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters 5. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 18.10.2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene landgerichtliche Urteil sowie das vorliegende Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 990.000 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Verpflichtung, gem. § 648a BGB Sicherheit zu lei-sten, obwohl der Bauvertrag von der Beklagten als Auftraggeberin wegen des im Laufe des Bauvorhabens gestellten Insolvenzantrags der jetzigen Insolvenzschuldnerin als Auftragnehmerin gem. § 8 Abs. 2 VOB/B gekündigt worden ist.
Die Insolvenzschuldnerin hatte als Generalunternehmerin den Neubau eines Alten- und Pflegeheims in W. zum Pauschalpreis von 3.515.000 EUR übernommen (vgl. Generalunternehmervertrag Anlage K 1; Bl. 7 ff. d.A.). Im Laufe der Bauausführung wurden die Abschlagsrechnungen Nr. 1 bis Nr. 9 über insgesamt 1.881.861,24 EUR erstellt, und zwar im Zeitraum von 6.7.2010 bis zum 12.1.2011. Diese Rechnungen sind von der Beklagten auch bezahlt worden.
Unter dem 4.2.2011 erstellte die Schuldnerin die zehnte Abschlagsrechnung über 708.614,58 EUR netto. Diese Abschlagsrechnung wurde von der Beklagten, die die sachliche Richtigkeit und Fälligkeit dieser Rechnung unter Berücksichtigung des Bautenstandes bestreitet, nicht bezahlt.
Zugleich verlangte die Schuldnerin mit Schreiben vom 4.2.2011 "wegen unseres Vorleistungsrisikos gem. § 648a Abs. 1 BGB" Sicherheit i.H.v. 2.050.000 EUR netto. Weiter heißt es, es werde gleichzeitig als Anlage eine Abschlagsrechnung beigefügt (Anlage B 1; Bl. 72 d.A.).
Mit gemeinsamen Schreiben vom 25.2.2011 teilten der Kläger und die Schuldnerin der Beklagten mit, die Schuldnerin habe aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag; das vorläufige Insolvenzverfahren sei mit Beschluss vom 24.2.2011 (Bl. 57 d.A.) eröffnet worden. Gleichwohl sei man bemüht, das Bauvorhaben erfolgreich zum Abschluss zu bringen (Anlage B 4; Bl. 104 d.A.).
Mit Schreiben vom 7.4.2011 kündigte die Beklagte den Generalunternehmervertrag vom 1.6.2010 gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B (Anlage K 3, Bl. 43 d.A.). Im Berufungsrechtszug hat der Kläger mittlerweile mit Schriftsatz vom 14. Feb-ruar 2012 die Schlussrechnung vom 15.7.2011 über 1.098.545,51 EUR netto vorgelegt (Anlage BB 1 im Anlagenhefter). Unstreitig ist das Bauvorhaben von der Beklagten mit einem Drittunternehmen vollendet worden, wobei die Beklagte hierdurch bedingte Mehrkosten von 1,2 Mio. EUR behauptet.
Der Kläger behauptet, bis zur Kündigung der Beklagten und Einstellung der Arbeiten sei die geschuldete Leistung etwa zu 70 % erbracht gewesen. Die zehnte Abschlagsrechnung über 708.614,58 EUR sei am 4.2.2011 nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen sowie des tatsächlichen Bautenstandes geltend gemacht worden. Insgesamt sei als Werklohn ein übersteigender Betrag, wie mit der Schlussrechnung mittlerweile abgerechnet, geschuldet. Aufgrund der Kündigung des Generalunternehmervertrages werde gleichwohl nur das Sicherheitsinteresse hinsichtlich der nicht geleisteten zehnten Abschlagszahlung i.H.v. 708.614,58 EUR zzgl. Nebenforderung i.H.v. 10 % (70.861,46 EUR) gem. § 648a Abs. 1 BGB geltend gemacht.
Der Kläger vertritt insoweit die Auffassung, entgegen der Argumentation der Beklagten könne die Insolvenzschuldnerin die Sicherheit unabhängig davon beanspruchen, dass die Beklagte zum einen erhebliche Mängel behauptet sowie den Bautenstand bestritten, zum anderen den Generalunternehmervertrag unter Berufung auf den von der Auftragnehmerin gestellten Insolvenzantrag nach § 8 Abs. 2 VOB/B gekündigt hat. § 648a Abs. 1 a.F. BGB habe nur die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers absichern sollen. Die aktuelle Neufassung der Vorschrift, die hier zur Anwendung kommt, gehe darüber hinaus. Danach solle der Werklohnanspruch des Unternehmers im Hinblick auf das Risiko einer Insolvenz des Bestellers unabhängig davon abgesichert werden, ob die Werkleistung mit Mängeln behaftet oder noch nicht fertiggestellt se...