Leitsatz (amtlich)
1. Verkauft der Anleger die aufgrund einer Pflichtverletzung der Bank erworbenen Wertpapiere vor Beginn des Prozesses oder jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung mit Verlust, besteht sein Schaden in der Differenz zwischen eingesetztem Kapital und erzieltem Verkaufserlös.
2. Der auf Ersatz in Geld gerichtete Schadensersatzanspruch des Anlegers setzt die Ablehnung der Bank voraus, Naturalrestitution durch Rückzahlung des Kapitals Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere zu leisten, nachdem sie hierzu vom Anleger aufgefordert worden ist.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1 S. 1, § 249 Abs. 1, § 250
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 20.05.2010; Aktenzeichen 4 O 366/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20.5.2010 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Verden teilweise geändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Klägerin insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 116.920,51 EUR zu- züglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins- satz seit dem 7.10.2009 zu zahlen, davon in Höhe eines Betrages von 100.968,01 EUR Zug um Zug gegen Übertragung von 426,32 Anteilen an dem F. I. Fund (...), von 1.213,91 Anteilen an dem T. C. Fund (...), von 10,19 Anteilen an dem U.E. Fonds (...) sowie von 747,47 Anteilen an dem U. S. (...).
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 3.475,99 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.10.2009 zu zahlen.
3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 46 % und die Beklagte 54 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 30 % und die Beklagte zu 70 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 10 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die vollstreckende Partei Sicherheit leistet, die die jeweils zu vollstreckende Forderung um 10 % übersteigt.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Volksbank auf Zahlung von Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.
Die als GmbH-Geschäftsführerin tätige Klägerin erwarb am 1.10.2007 auf Empfehlung des Mitarbeiters der Beklagten D. für 300.000 EUR Aktienfondsanteile, und zwar für 90.000 EUR Anteile am L. G. (Anlage B 16, Bl. 133 d.A.), für jeweils 50.000 EUR Anteile am F. T. Fund, am T. F. Fund (Anlage B 18, Bl. 140 ff. d.A.) und am U.E. Fonds sowie für 60.000 EUR am U. S. Fonds (Anlage B 19, Bl. 142 d.A.). Vorangegangen waren den Wertpapierkäufen im August und September 2007 geführte Beratungsgespräche, an denen die Klägerin, ihr Ehemann und der Zeuge D. teilnahmen, bei denen es um die beabsichtigte Anlage eines aus einer Erbschaft stammenden Betrages von bis zu 450.000 EUR ging, über deren Inhalt die Parteien im Übrigen streiten. Im Zuge der Erörterung von Anlagemöglichkeiten übersandte der Ehemann der Klägerin, der Zeuge H., dem Zeugen D. am 17.9.2007 eine E-Mail (Anlage B 2, Bl. 105 d.A.), in der die durchschnittliche Renditeerwartung der Klägerin mit 10 % bis 11,5 % p.a. beziffert wurde. Die Klägerin gab in der von ihr am 28.9.2007 unterzeichneten Dokumentation der Kundenangaben (Anlage B 13, Bl. 125 ff. d.A.) als Anlageziele "Familie absichern, Altersvorsorge, Vermögensaufbau" mit einem Anlagehorizont von mehr als 10 Jahren an und stufte sich als risikobereit ein. Die Klägerin zahlte für den Erwerb der Anteile - nach Rabattgewährung - jeweils einen Ausgabeaufschlag von 2,5 bis 3 % (insgesamt 8.330 EUR), wegen deren Höhe im Einzelnen und der daraus an die Beklagte geflossenen Rückvergütungen auf die von ihr vorgelegte Tabelle (Anlage BE 1, Bl. 342 d.A.) Bezug genommen wird. Darüber hinaus erhielt die Beklagte als Bestandsprovision Anteile der an die jeweilige Fondsgesellschaft gezahlten jährlichen Verwaltungsvergütungen (vgl. Anlagen B 4, B 6, B 8, B 10 und B 12, jeweils Bl. 107 ff., 112 ff., 117, 119 und 121 ff. d.A.). Wegen der Höhe der einzelnen Bestandsprovisionen wird ebenfalls auf die Tabelle (Anlage BE 1, Bl. 342 d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin veräußerte am 31.3.2009 sämtliche Anteile am L. G. und ab dem 29.1.2010 jeweils Teile der übrigen Fondsanteile. Wegen deren Anzahl und Kurswert bei Kauf sowie Verkauf wird auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 5.1.2011 vorgelegte Tabelle (Bl. 353 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin, die die Rückabwicklung der - nach Teilverkäufen - noch gehaltenen Fondsanteile begehrt, ist der Auffassung, nicht anleger- und objektgerecht beraten worden zu sein. Ihre Klassifikation als risikobereit hält sie in Relation zu ihrem angegebenen Anlagehorizont "langfristig Altersversorgung, Vermögensaufbau, Absicherung der Familie" für widersprüchlich. Ungeachtet ihrer dokumentierten Angabe, wiederholt Aktiengeschäfte getätigt zu haben, hat ...