Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung gegen ein Scheinurteil - Urteil ohne Klage
Leitsatz (amtlich)
1. Ein sog. Scheinurteil ist ein wirkungsloses Urteil, das keine instanzbeendende Wirkung entfalten kann.
2. Gegenüber einem Scheinurteil ist gleichwohl die Berufung der statthafte Rechtsbehelf, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen.
3. Auf die demnach statthafte Berufung gegen ein solches Urteil ist dieses aufzuheben und der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts gem. § 540 ZPO ist nicht möglich.
4. Zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Klageerhebung.
Normenkette
GKG § 21 Abs. 1; ZPO §§ 253, 269, 295
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 11 O 128/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten zu 2 wird das Urteil der Einzelrichterin des Landgerichts Hannover vom 26.04.2023, Az. 11 O 128/22, samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren klarstellend aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
2. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 5.092,84 EUR.
Gründe
I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Er befuhr mit seinem Fahrzeug am 1. Oktober 2021 die K.straße in H., in der sich zu diesem Zeitpunkt eine Baustelle befand, die von der Beklagten zu 2 eingerichtet und betrieben worden war. Zwischen den Parteien ist streitig, ob das klägerische Fahrzeug durch einen ungesichert auf der Straße liegenden Schildständer beschädigt wurde, der der vorgenannten Baustelle zuzuordnen war.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), der in Bezug auf die Prozessgeschichte der Korrektur bedarf, weil insoweit keine Übereinstimmung mit dem Akteninhalt gegeben ist.
Der Kläger hat zunächst die Klage gegen die Beklagte zu 1 erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2022 hat das Landgericht gegen den Kläger ein Versäumnisurteil erlassen, gegen das dieser Einspruch eingelegt und der "LK. GmbH" den Streit verkündet hat. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1 beigetreten.
In der mündlichen Verhandlung über den Einspruch vom 11. Januar 2023 hat der Klägervertreter erklärt, dass er die Klage gegen die Beklagte zu 1 zurücknehme, und hat beantragt, der Beklagtenseite die Kosten aufzuerlegen (der neue Antrag ist entgegen § 162 Abs. 1 ZPO lt. Protokoll nicht genehmigt worden).
Danach hat der Klägervertreter die Anträge aus der Klagschrift vom 18. Mai 2022 gestellt und nunmehr beantragt, gegen die Streitverkündete Klage zu erheben (der neue Antrag ist entgegen § 162 Abs. 1 ZPO lt. Protokoll nicht genehmigt worden).
Der Beklagtenvertreter hat erklärt, dass er auch die Beklagten zu 2, die LK. GmbH, vertrete, und hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Kosten der Klagrücknahme dem Kläger aufzuerlegen.
Das Landgericht hat sodann die Beklagte zu 2 wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte zu 2 mit ihrer Berufung. Sie meint, der Rechtsstreit sei bereits durch die Rücknahme der Klage gegen die Beklagte zu 1 beendet gewesen. Das Gericht hätte nur noch über die Kosten entscheiden dürfen. Gegen die Beklagte zu 2 sei eine Klage nicht wirksam erhoben worden.
Sie beantragt,
das am 26.4.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Hannover, 11 O 128/22 - aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II. Die Berufung der Beklagten zu 2 ist statthaft und zulässig. In der Sache hat sie zunächst Erfolg.
1. Es handelt sich bei dem landgerichtlichen Urteil um ein wirkungsloses Urteil, das die Instanz nicht beendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005 - II ZB 2/05, Rn. 11, juris). Auch bei sog. Scheinurteilen ist die Einlegung des bei wirksamer Verkündung statthaften Rechtsmittels, hier also der Berufung, zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen (vgl. BGH NJW 1964, 248; VersR 1984, 1192; OLG Frankfurt MDR 1991, 62; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorbem. § 300 Rn. 14 ff. mwN). Auf die danach statthafte Berufung gegen ein solches Urteil ist dieses aufzuheben und der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts gem. § 540 ZPO ist nicht möglich (OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Dezember 1994 - 17 U 288/93, Rn. 5 mwN; BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005 - II ZB 2/05, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 3. November 1994 - LwZB 5/94, Rn. 5; OLG München, Urteil vom 21. Ja...