Leitsatz (amtlich)
1. Haben monozygote Zwillinge in der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Kindesmutter verkehrt, lässt sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft die Vaterschaft durch ein genetisches Abstammungsgutachten nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitswert von mind. 99,9 % klären, auch wenn dabei das Verfahren des whole genome sequencing zur Anwendung kommt.
2. Jedenfalls unter diesen Umständen ist beiden Zwillingen die Abgabe einer Spermaprobe und auch die Einbeziehung des codierenden Bestandteils ihrer aus Blut gewonnenen DNA in die genetische Abstammungsuntersuchung nicht zumutbar.
Verfahrensgang
AG Hameln (Urteil vom 02.02.2006) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 2.2.2006 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Hameln geändert und neu gefasst.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.1. Der am ... 1999 geborene, in einer Pflegefamilie lebende Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beklagte sein Vater ist. Dieser wendet ein, auch sein eineiiger Zwillingsbruder T. L. habe mit der Mutter des Klägers (im Folgenden: Kindesmutter) in der gesetzlichen Empfängniszeit vom 28.3.1998 bis zum 25.7.1998 Geschlechtsverkehr gehabt.
Das AG hat gemäß Beweisbeschluss vom 7.5.2002 und dessen Ergänzung vom 22.5.2002 das Abstammungsgutachten des Dr. med. S. vom 1.2.2004 sowie das nunmehr unter Einbeziehung von T. L. erstellte Ergänzungsgutachten vom 20.7.2005 eingeholt. Die Gutachtenerstellung hat sich dadurch verzögert, dass der Beklagte zwangsweise zur Blutentnahme vorgeführt und die Anschrift des Zwillingsbruders erst ermittelt werden musste. Das Gutachten vom 1.2.2004 hat zum Ergebnis, dass der Beklagte in allen untersuchten PCR-Systemen von der Vaterschaft zum Kläger nicht ausgeschlossen und diese deshalb unter der Voraussetzung als praktisch erwiesen anzusehen ist, dass der Kindesmutter innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit kein naher Blutsverwandter des Beklagten beigewohnt hat. Nach dem Ergebnis des Ergänzungsgutachtens vom 20.7.2005 lassen sich der Beklagte und sein Zwillingsbruder genetisch nicht unterscheiden, weshalb sich nicht feststellen lasse, welcher der Zwillinge Vater des Klägers sei.
Daraufhin hat der Familienrichter im Termin am 27.10.2005 T. L. als Zeugen vernommen sowie die Kindesmutter angehört und danach gemäß Beweisbeschluss vom 31.10.2005 das Gutachten des Dr. med. N. vom 21.12.2005 zur Klärung der tatsächlichen Empfängniszeit eingeholt. Dort ist aufgrund in der Geburtsklinik noch verfügbarer Patientenunterlagen festgestellt worden, dass die Kindesmutter am 29.4.1998 ihre letzte Regelblutung gehabt habe und sich danach rechnerisch eine Empfängniszeit zwischen dem 9.5.1998 und dem 16.5.1998 ergebe. Auf der Grundlage des dokumentierten Ultraschallbefundes vom 29.11.1998 sei allerdings ein Konzeptionszeitpunkt zwischen dem 9.6.1998 und dem 16.6.1998 wahrscheinlicher. Auch zwischen diesen beiden Zeiträumen könne die Schwangerschaft entstanden sein. Zur Konkretisierung werde das Ergebnis der in der Frühschwangerschaft durchgeführten Ultraschalluntersuchungen benötigt. Dieses war indessen nicht mehr erreichbar. Darum hat das AG im Termin am 26.1.2006 die Kindesmutter nochmals angehört und daraus die tatrichterliche Überzeugung gewonnen, dass sie nach dem 15.4.1998, d.h. nach dem Tod ihres Vaters, nur noch mit dem Beklagten Geschlechtsverkehr hatte.
Dann hat das AG mit Urteil vom 2.2.2006 der Klage stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird auf jenes Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO. Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage weiter.
2. Der Senat hat ausweislich der Verfügung des Vorsitzenden vom 27.3.2006 zunächst bei Prof. Dr. med. S., Direktor des Instituts für Humangenetik der Medizinischen Hochschule H., telefonisch angefragt, ob nach dem Stand der Wissenschaft die Vaterschaftsfeststellung ausgeschlossen sei, wenn eineiige Zwillinge jeweils als Vater in Betracht kommen. Das wurde verneint. Daraufhin ist mit Beweisbeschluss vom 26.4.2006 die Erstellung eines Abstammungsgutachtens durch den vorgenannten Sachverständigen angeordnet worden. Dieser hat mit Schreiben vom 23.5.2006 unter Beschreibung der durch ihn geplanten Vorgehensweise darauf hingewiesen, hier werde wissenschaftlich-technisches Neuland beschritten, so dass die Erfolgsaussichten nicht beziffert werden könnten. Mit dem dann vorgelegten Gutachten vom 4.10.2007, worauf Bezug genommen und unten unter III. 2 noch näher eingegangen wird, konnte wiederum keine Klärung der Abstammung herbeigeführt werden.
Daraufhin hat auch der Senat noch einmal versucht, den Verbleib der Befundunterlagen über (weitere) Ultraschalluntersuchungen der Kindesmutter zu ermitteln und eine etwa angefertigte Kopie des bei ihr verloren gegangenen Mutterpasses zur Sachaufklärung zu beschaffen. Dies ist wie schon in erster Instanz ohne Erfolg geblieben. Wegen der Einzelheiten ...