Leitsatz (amtlich)
1. Eine Geheimhaltungsanordnung kann nicht auf in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende Personen erstreckt werden.
2. Dem Prozessbevollmächtigten einer nichtanwesenden Partei ist deren Unterrichtung über geheimhaltungspflichtige Umstände nach einem solchen Beschluss verboten; eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Partei liegt hierin nicht.
3. Weil der Geheimnisschutz von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ist ein Vortrag einer Partei, welcher genaue Nachteil ihr konkret aus der Verbreitung eines Dokuments erwachsen würde, nicht geboten.
4. Das Unterlagen bereits in Parallelverfahren vorgelegt worden sind, steht ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht entgegen (Festhaltung Senat, Beschluss vom 18. Januar 2021 - 4 W 937/20).
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 892/19) |
Tenor
1. Die sofortigen Beschwerden des Klägers und seiner im Termin vom 01.09.2020 vor dem Landgericht Dresden anwesenden Prozessbevollmächtigten sowie der Beklagten gegen den in diesem Termin verkündeten Beschluss über die Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 S. 1 GVG werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beschwerdeführer zu je 1/3.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1000,- EUR festgesetzt
Gründe
I. Das Beschwerdeverfahren betrifft die Anordnung der Geheimhaltung gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG.
Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Er nimmt diese in der Hauptsache mit Feststellungs- und auf Rückzahlung gerichtete Leistungsklage wegen verschiedener von der Beklagten vorgenommener Prämienerhöhungen in Anspruch und vertritt die Ansicht, diese Erhöhungen seien jeweils nicht ordnungsgemäß begründet worden, der von der Beklagten nach ihren Angaben eingeschaltete Treuhänder sei nicht unabhängig gewesen, und es hätten auch die materiellen Voraussetzungen für die Prämienerhöhungen, die die Beklagte darzulegen und zu beweisen habe, nicht vorgelegen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.08.2020 als Anlage ... 32 ein Anlagenverzeichnis derjenigen Unterlagen vorgelegt, die ein Sachverständiger zur Prüfung der materiellen Berechtigung der Anpassungen benötige und hat sich zugleich in diesem Schriftsatz bezüglich des gesamten Konvoluts mit Ausnahme der jeweils im Anlagenverzeichnis mit "Ausnahmen für einzelne Seiten" gekennzeichneten Unterlagen auf Geheimhaltungsbedürftigkeit berufen. Die Vorlage der in der Anlage ... 32 aufgeführten Unterlagen und eine Einsichtnahme in diese durch die Klägerseite könne erst erfolgen, wenn die Geheimhaltung sichergestellt sei. Zur Begründung macht die Beklagte geltend, die aufgeführten Unterlagen enthielten in ihrer Gesamtheit die Berechnungsgrundlagen für die streitigen Prämienanpassungen und würden - bis auf die gekennzeichneten Unterlagen - als Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Geheimhaltung unterliegen.
In der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020, in der nur die jeweiligen Prozessbevollmächtigten der Parteien anwesend waren, hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten drei USB-Sticks mit den in dem Anlagenverzeichnis ... 32 bezeichneten Dokumenten übergeben. Das Landgericht hat zunächst die Öffentlichkeit ausgeschlossen und nach nichtöffentlicher Verhandlung unter Abweisung des weitergehenden Antrags "den anwesenden Personen den Inhalt der in der heute nicht öffentlichen Verhandlung zur Akte gereichten und in der Anlage ... 32 genannten Schriftstücke und die hierauf bezogene Erörterung während der heutigen nichtöffentlichen Verhandlung geheim zu halten mit Ausnahme der in der Anlage ... 32 als nicht geheim bezeichneten Teile."
Hiergegen haben beide Parteien sowie die Klägervertreterin im eigenen Namen sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beklagte ist der Auffassung, ihr aus Art. 12 GG folgendes Grundrecht auf Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werde durch die Geheimhaltungsanordnung, die sich nicht auf die nicht anwesende Klagepartei erstrecke, nicht hinreichend geschützt. Der Beschluss müsse insgesamt aufgehoben und in einer neuen mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger zwingend zu laden sei, neu erlassen werden. Der Kläger sowie die Klägervertreterin meinen, eine Geheimhaltungsanordnung sei hier, soweit sie über die technischen Berechnungsgrundlagen der Versicherung hinausgehe, nicht zulässig gewesen, weil die Beklagte den Geheimhaltungsbedarf nicht ausreichend substantiiert habe. Nachdem sie die von ihr als geheim bezeichneten Unterlagen, namentlich die Zustimmungserklärungen des Treuhänders sowie zu den auslösenden Faktoren und limitierenden Maßnahmen ohne Sicherheitsvorkehrungen in zahlreichen Parallelverfahren eingebracht habe, handele es sich insofern ohnehin nicht mehr um Geschäftsgeheimnisse i.S.d. § 2 Nr. 1a GeschGehG, ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung sei weder vorgetragen noch erkennbar, zumindest stelle sich die jetzige Berufung auf eine Geheimhaltung als widersprüchliches Verhalten dar. Da der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nur dem Schutz vor Wettbew...