Leitsatz (amtlich)
1. Für konkrete Anhaltspunkte, die in einem Arzthaftungsverfahren Zweifel an der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung begründen, genügt es nicht, wenn der Patient der medizinischen begründeten Auffassung eines Sachverständigen lediglich seine abweichende Auffassung gegenüberstellt.
2. Die Aufklärung über die Wahrscheinlichkeit eines Risikos vor einer ärztlichen Behandlung ist nicht an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen auszurichten (Anschluss an BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 117/17).
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 395/17) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.11.2019 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens auf bis zu 40.000,00 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.
Bei dem am 25.07.1947 geborenen Kläger wurde Mitte Dezember 2014 ein Adenokarzinom der Prostata Gleason 7 durch seinen niedergelassenen Urologen H ... diagnostiziert, nachdem er sich wegen Miktionsstörungen vorgestellt hatte. Der Kläger stellte sich im Dezember 2014 im Hause der Beklagten vor, und es fand ein Beratungsgespräch mit der Zeugin Dr. Hx ... statt. Am 27.01.2015 wurde der Kläger stationär aufgenommen und führte ein Aufklärungsgespräch mit der Zeugin Dr. S ... Der Inhalt der beiden Gespräche ist streitig. Am 28.01.2015 wurde eine radikale Prostatovesikulektomie durchgeführt. Am 7. postoperativen Tag erfolgte eine Zystographie (Röntgenuntersuchung der Harnblase), die kein Extravasat zeigte. Der Kläger wurde am 05.02.2015 entlassen. Am 06.02.2015 wurde er notfallmäßig stationär wegen eines Harnverhalts aufgenommen. Es wurde eine Harnblasentamponade (Verstopfung der Harnblase durch Blutgerinnsel) festgestellt und im Anschluss an eine Zystographie ausgespült. Nach Ziehen des Blasenkatheters kam es am 09.02.2015 erneut zu Harnverhalt und Fieber. Dem Kläger wurde erneut ein Katheter gelegt, der sich jedoch bei der sich anschließend am gleichen Tag durchgeführten Lagekontrolle als disloziert und außerhalb der Harnblase zeigte. Bei zystographisch nachgewiesenem Extravasat erfolgte die unmittelbare Lagekorrektur des Blasenkatheters. Der Harnwegsinfekt wurde behandelt und der Kläger am 17.02.2015 entlassen. In der Zeit vom 03.03. bis 05.03.2015 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung bei der Beklagten aufgrund von Beschwerden wegen eines Harnwegsinfektes. Es zeigte sich eine Belastungsinkontinenz 2. Grades.
Der Kläger hat behauptet, er sei von den Behandlern der Beklagten nicht ausreichend über alternative Behandlungsoptionen aufgeklärt worden. Neben der Operation hätten zahlreiche weitere Optionen, u. a. auch die Möglichkeit einer Strahlentherapie bestanden. Hinsichtlich der Darstellung der Wahrscheinlichkeiten für die Erfolgsaussichten und Risiken einer Behandlung hätte zur Illustration auf die Ausführungen in den Beipackzetteln zu Arzneimitteln verwiesen werden müssen. Nach seinem heutigen Wissensstand hätte er in die Operation nie eingewilligt. Nunmehr leide er unter erheblichen Miktionsstörungen (häufiges Wasserlassen in Verbindung mit stechendem Schmerz). Hinzu komme, dass die Zeugin Dr. S ... zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt habe. Eine anderweitige Aufklärung sei auch nicht durch den niedergelassenen Urologen H ... erfolgt. Keiner habe ihn über die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt. Zudem sei der Eingriff nicht lege artis durchgeführt worden. Es sei fehlerhaft, dass intraoperativ die linke Samenblasenspitze belassen und auf eine Lymphadenektomie rechts verzichtet worden sei. Zudem sei auch das Legen des Dauerkatheters durch die Assistenzärztin am 09.02.2015 fehlerhaft erfolgt, weshalb der Kläger Schmerzen habe erleiden müssen sowie eine verlängerte Hospitalisierung und eine erneute Behandlung im März 2015 notwendig geworden seien.
Die Beklagte hat sich hilfsweise auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Der Eingriff sei überdies lege artis durchgeführt worden. Der histologische Befund belege, dass kein krankhaftes Gewebe zurückgelassen worden sei. Das Legen des Dauerkatheters am 09.02.2015 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Fehllage sei schicksalhaft gewesen. Im Übrigen werde die Kausalität bestritten. Das begehrte Schmerzensgeld von 35.000,00 EUR sei übersetzt.
Das Landgericht hat den Kläger angehört, Zeugen vernommen und ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Klage mit Urteil vom 20.05.2019 abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er meint, das Landgericht sei zu Unrecht von einer ausreichenden Aufklärung ü...