Leitsatz (amtlich)

1. Der von der Vergabekammer beigeladene Mitbieter kann die auf Antrag des ebenfalls zum Bieterkreis gehörenden Antragstellers ergangene Anordnung der Vergabekammer, das Vergabeverfahren aufzuheben, anfechten, soweit er die in der Anordnung liegende Verletzung eigener Rechte geltend machen kann.

2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz der §§ 97 Abs. 2 GWB, 8 Nr. 1 Satz 1 VOB/A ist verletzt, wenn die Vergabestelle zunächst entgegen § 18 Nr. 2 VOB/A als Termin der Angebotsabgabe einen vor dem Eröffungstermin liegenden Tag benannt hat, dann aber die Angebotsfrist bis zum Eröffnungstermin verlängert, ohne alle Bieter hiervon zu informieren.

3. Das Vergabeverfahren verletzt Rechte eines Bieters, wenn er in seiner reellen Chance, den Auftrag zu erhalten, ernsthaft beeinträchtigt ist. Nicht erforderlich ist die Feststellung, dass der bestreffende Bieter bei ordnungsgemäßem Ablauf des Vergabeverfahrens auch tatsächlich den Zuschlag erhalten hätte.

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen beim Regierungspräsidium Leipzig vom 22.02.2000 wird

zurückgewiesen.

2. Der Antrag der Antragstellerin, festzustellen, dass sie durch die Auftraggeberin im Rahmen der Durchführung des Vergabeverfahrens zu Los 1 (Hochbau) den Neubau des Verwaltungsgebäudes der Auftraggeberin betreffend in ihren Rechten verletzt ist, wird

zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beigeladene zu 92 % und die Antragstellerin zu 8 %.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird aufDM 124.992,62 festgesetzt.

 

Gründe

I.

Am 30.11.1999 schrieb die Auftraggeberin das Bauvorhaben „Neubau des Verwaltungsgebäudes der Industrie- und Handelskammer” in Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften europaweit im offenen Verfahren aus. Die Ausschreibung umfasste die Lose 1 (Hochbau) und 21 (Aufzugsanlagen, Personenaufzug), wobei das Los 1 in die Teillose 1.1 (Herrichten des Baugeländes und Baustelleneinrichtung), 1.2 (Rohbau) und 1.3 (Beton- und Stahlbetonarbeiten) unterteilt war. Die geschätzte Gesamtauftragssumme lag bei 16 Mio. DM. Hiervon entfielen auf das Los 1 mehr als 2 Mio. DM. Mit der Durchführung des Ausschreibungsverfahrens beauftragte die Auftraggeberin die Firma.

Nach dem Inhalt der Ausschreibungsbekanntmachung war als Schlusstermin für den Angebotseingang der 19.01.2000, 12:00 Uhr, angegeben. Angebote waren an die Firma zu richten. In deren Geschäftsräumen sollte am 20.01.2000, 10:00 Uhr, die Angebotsöffnung erfolgen. Als Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist war der 18.02.2000 vorgesehen. Unter dem Stichwort „Varianten” hieß es, dass Änderungsverschläge oder Nebenangebote nicht zugelassen seien.

Am 06.12.1999 versandte die Firma die Verdingungsunterlagen an insgesamt 41 Bieter, die sich um die Teilnahme am Wettbewerb für das Los 1 beworben hatten. Der Versand an die Beschwerdegegnerin erfolgte am 08.12.1999, der an die Beschwerdeführerin am 10.12.1999. In den zugehörigen Anschreiben wurde um Rückgabe der ausgefüllten Angebotsexemplare bis spätestens 19.01.2000, 12:00 Uhr, gebeten. Mit Schreiben vom 15.12.1999 teilte die Firma den Bietern, darunter der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin, in, so wörtlich, „Konkretisierung dieser Ausschreibung” folgende Termine mit:

„1.

Einreichung der Angebote

19.01.2000,

12:00 Uhr,

2.

Submission

20.01.2000,

10:00 Uhr”

Bis zum 19.01.2000, 12:00 Uhr, gingen bei der Firma 19 Angebote ein, unter denen sich auch die der Beschwerdegegnerin und der Beschwerdeführerin befanden. Andere Bieter aus dem ostsächsischen Raum äußerten in bis zum vorgenannten Zeitpunkt mit der Firma geführten Telefonaten die Bitte, Angebote bis zum Ablauf des 19.01.2000 bzw. zum Beginn der Submission am 20.01.2000 abgeben zu dürfen. Dem stimmte die Firma zu, ohne indes alle Bieter hiervon in Kenntnis zu setzen. Die Beschwerdegegnerin war nicht informiert worden. Der Geschäftsführer der Firma hatte sich bei der Bezirksregierung Dresden danach erkundigt, ob im konkreten Falle die Möglichkeit bestehe, dass bis zum Submissionstermin Angebote eingereicht werden dürften. Im Hinblick auf § 18 Nr. 2 VOB/A hielten der Geschäftsführer der jirma und der von ihm befragte Mitarbeiter des Regierungspräsidiums dies für zulässig.

Bis zum 19.01.2000, 16:00 Uhr, gingen der Firma 3 weitere Angebote zu. Bis zum Submissionstermin am 20.01.2000 erhöhte sich die Anzahl der Angebote auf 27. Am 20.01.2000 nahm der Geschäftsführer der Firma die Öffnung der Angebote vor. Ausweislich Anlage 2 der hierüber gefertigten Niederschrift hatte der Geschäftsführer der Firma zu Beginn die Verfahrensweise erläutert und darauf hingewiesen, dass Angebote bis zur Öffnung des ersten Angebotes eingereicht werden konnten. Nach dem weiteren Inhalt der vorbezeichneten Anlage gab es „zu Beginn keine Einrede eines Bieters”.

Die sodann erfolgte Angebotsöffnung ergab einen Angebotspreis der Beschwerdegegnerin von DM 2.514.718,91, einen solchen der Beschwerdeführerin von DM 2.473.852,40 un...

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