Leitsatz (amtlich)
1. Die Vermutung, dass eine nicht in den Behandlungsunterlagen dokumentierte Untersuchung auch nicht erfolgt ist, kann der Arzt auch im Rahmen seiner Parteianhörung entkräften; einer Parteivernehmung bedarf es nicht.
2. Wenn feststeht, dass es überhaupt eine Untersuchung gegeben hat, reicht es aus, wenn der Arzt schildert, wie er in vergleichbaren Fällen regelmäßig vorgeht.
3. Zu den Voraussetzungen für eine Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme im Berufungsverfahren.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 2199/15) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Verhandlungstermin vom 19.9.2017 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Weder die Beklagten zu 1) und 2) noch die Beklagte zu 3) haften aus §§ 630aff., 823, 831 BGB wegen der Verkennung einer bei der Klägerin am 4.2.2014 im Klinikum S. G. diagnostizierten Meningitis oder der unterbliebenen Einweisung in ein Krankenhaus zur weiteren Abklärung. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, das im Anschluss an das von ihm eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. J. zu der Überzeugung gelangt ist, die Beklagten hätten die notwendigen klinischen Untersuchungen auf eine Meningitis durchgeführt, für eine solche Krankheit richtungsweisende Zeichen indes nicht vorgefunden, gibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keinen Anlass zu einer weiteren Beweisaufnahme vor dem Senat.
1. Allerdings ist das Berufungsverfahren auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden" und damit "richtigen" Entscheidung des Einzelfalles besteht (BGH, Urteile vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03-juris.; vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03-juris vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 164/03-juris; Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 59 f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S. 118, 124). Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist insbesondere nicht auf Verfahrensfehler und damit auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen sind für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (BGH, Urteil vom 14. Februar 2017 - VI ZR 434/15 -, juris; Urteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14 - juris; Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03- juris.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist hier indes nicht gegeben.
2. Ob bei der Vorsprache der Eltern der Klägerin in der Kindernotfallambulanz der Beklagten zu 1) am 2.2.2014 bereits eine Meningitis im Anfangsstadium bestand, was der Sachverständige Prof. J. mit Blick auf die selbst am 4.2.2014 bei Aufnahme im Klinikum S. G. nur schwach ausgeprägten Symptome und den dort erhobenen Liquorbefund für zweifelhaft und auch der MDK-Gutachter Dr. K. für keinesfalls sicher, wenngleich "durchaus wahrscheinlich" gehalten hat, kann hier offenbleiben. Dem Beklagten zu 2) kann jedenfalls nicht vorgeworfen werden, die insofern gebotenen Befunde, namentlich die Untersuchung auf eine Nackensteifigkeit nicht erhoben zu haben. Allerdings lässt die als Anlage K 3 vorgelegte Dokumentation keinen Rückschluss hierauf zu, insbesondere kann aus dem Vermerk "Ohren frei" nicht gefolgert werden, dass im Rahmen der Ohruntersuchung auch die Nackensteifigkeit bei der Klägerin geprüft wurde. ...