Leitsatz (amtlich)

1. Auch die Verwendung eines mit individuellen künstlerischen Mitteln (hier: Linolschnitt) erstellten Bildnisses zu kommerziellen Zwecken kann eine Datenverarbeitung darstellen, sofern aufgrund einer Gesamtschau der für die Identifizierbarkeit geeigneten Daten Rückschlüsse auf die darin verkörperte natürliche Person möglich sind. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn die abgebildete Person lediglich von ihrem engen Freundes- oder Familienkreis identifiziert werden könnte; die zum Kunsturhebergesetz in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe sind im Datenschutzrecht nicht anwendbar.

2. Für die Erkennbarkeit als Voraussetzung für ein Bildnis im Sinne des Kunsturhebergesetzes ist der Abgebildete beweisbelastet; im Verfügungsverfahren kann dieser Beweis auch durch eidesstattliche Versicherung Dritter geführt werden.

3. Die kommerzielle Verwertung des künstlerisch gestalteten Porträts eines Dritten kann einem höheren Interesse der Kunst dienen.

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 177/22 EV)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil vom 01.07.2023 und der Beschluss vom 19.05.2022 des Landgerichts Görlitz - Az 1 O 177/22 EV - abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.600,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin (im folgenden Klägerin) nimmt den Verfügungsbeklagten (im folgenden Beklagten) im Wege einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Zur-Schau-Stellung und/oder des Verbreitens eines Linolschnitts auf Bekleidungsartikeln in Anspruch, die der Beklagte unter dem Label "L......" unter anderem in einem Webshop zum Kauf anbietet.

Die Klägerin wurde im Jahr 1960 durch die sorbische Künstlerin H...... K...... (geb. 1901, verst. 1990) unentgeltlich in einer Bleistiftzeichnung porträtiert, die sich in ihrem Besitz befindet. Es handelt sich um das folgende Bild:

((Abbildung))

Die Künstlerin erstellte im Jahr 1974 eine weitere Zeichnung mit dem Titel "M......" sowie einen undatierten Linolschnitt. Dieser wurde vom Beklagten als Vorlage für den Nachdruck auf T-Shirts verwendet. Es handelt sich um die folgenden, in Publikationen zur Künstlerin abgedruckten Bilder:

((Abbildung))

Nachdem u.a. die sorbische Zeitung "S... N..." über den beabsichtigten Verkauf dieser T-Shirts berichtete, forderte die Klägerin den Beklagten auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Der Linolschnitt sei auf der Grundlage der Portraitzeichnung von 1960 entstanden und bilde sie erkennbar ab. Nachdem der Beklagte der Aufforderung nicht nachkam, beantragte sie den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die das Landgericht antragsgemäß erließ und den dagegen gerichteten Widerspruch des Beklagten durch das angefochtene Urteil zurückwies.

Zur Begründung seiner Berufung vertritt der Beklagte die Auffassung, der Antrag sei mangels Bestimmtheit unzulässig. Die Klägerin habe zudem nicht nachgewiesen, dass es bei dem Linolschnitt um ein Bildnis handele, auf dem sie als Jugendliche abgebildet sei. Zudem könne er sich auf die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG berufen, da er mit der Verbreitung des T-Shirts als Kunstförderer die in der Lausitz beheimatete sorbische Kultur bekannt mache.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

A) Der Verfügungsanspruch ist entgegen der Ansicht der Berufung allerdings hinreichend bestimmt, da der Verweis auf die Internetseite der Zeitung "S... N..." nur der Konkretisierung und Klarstellung des geltend gemachten Unterlassungsbegehrens dient, welches Bildnis für Bekleidungsartikel nicht mehr verwendet werden soll.

B) Der Klägerin steht jedoch ein Unterlassungsanspruch gegen die Verwendung des von der Künstlerin H...... K...... im Jahr 1974 gefertigten Linolschnitts auf den von ihm vertriebenen Bekleidungsartikeln nicht zu.

1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1 lit. f) der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, im folgenden DSGVO).

a) Die Rechtmäßigkeit der Nutzung von Bildnissen als personenbezogene Daten richtet sich nach datenschutzrechtlichen Regelungen, denen in ihrem sachlichen und räumlichen Geltungsbereich gegenüber kollidierenden nationalen Vorschriften wie den §§ 22, 23 KUG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Anwendungsvorrang zukommen, zumindest, soweit nicht die Mitgliedsstaaten von der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO Gebrauch gemacht haben - was im Streitfall mangels Verwendung des Bildnisses zu journalistischen Zwecke nicht zum Tragen kommt - oder eine Fortgeltung des KUG nach Art. 85 Art. 1 DSGVO ohne ausdrückliche gesetzgeberische Regelung angenommen wird (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.2022, I ZR 2/21, Tina Turner -, Rn. 35, juris; zum Meinungsstand: Götting/Schertz...

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