Leitsatz (amtlich)
1. Die distale instabile Radiusfraktur durfte 2005 mit einer Plattenosteosyntheseoperation des rechten Handgelenks behandelt werden. Bei der Wahl der Therapie ist dem Arzt ein weites Ermessen eingeräumt.
2. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert jedoch die Unterrichtung von Alternativen (hier: konservative Frakturversorgung), wenn für eine medizinische sinnvolle und indizierte Therapie mehrere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
3. An den der Behandlungsseite obliegenden Beweis einer gehörigen Erfüllung der Aufklärungspflichten dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Zur Überzeugungsbildung des Gerichts kann es ausreichen, wenn durch Zeugen die ständige Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nachgewiesen ist, sofern ausreichende Indizien dafür bestehen, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch geführt worden ist.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 05.08.2009; Aktenzeichen 4 O 910/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Chemnitz vom 5.8.2009 - 4 O 910/08 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 25.000 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden im Anschluss an eine Plattenosteosyntheseoperation des rechten Handgelenks im Klinikum der Beklagten am 8.2.2004. Es wird für das erstinstanzliche Parteivorbringen im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das LG hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Ein Behandlungsfehler liege nicht vor. Weder könne der Beklagten vorgeworfen werden, eine zu große Platte eingesetzt zu haben, noch liege ein Behandlungsfehler in dem Belassen eines geringfügigen Überstandes und der erfolgten intraoperativen Korrektur. Die Reposition der Fraktur sei im Übrigen achsengerecht erfolgt, eine (inkomplette) Sehnenruptur sei nicht Folge der Operation gewesen. Auch ein Aufklärungsfehler sei nicht gegeben, weil gleichwertige Alternativmöglichkeiten nicht bestanden hätten und der Aufklärungsbogen der Beklagten hinreichende Anhaltspunkte für eine zureichende Aufklärung enthalten habe. Dass die zugrunde liegende Aufklärung durch einen Arzt im Praktikum erfolgt sei, sei unschädlich. Schließlich könne sich die Beklagte auf die hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen, weil davon auszugehen sei, dass die Klägerin auch bei einer ausführlicheren Aufklärung in den konkret vorgenommenen Eingriff eingewilligt hätte. Das Urteil ist der Klägerin am 11.8.2009 zugestellt worden.
Mit der am 11.9.2009 eingegangenen und fristgerecht begründeten Berufung macht die Klägerin geltend, der Gutachter habe fehlerhaft eine Beeinträchtigung der Strecksehne verneint, obwohl aus den Behandlungsunterlagen anderes hervorgehe; dem sei das LG gefolgt. Rechtsfehlerhaft habe es überdies zur Frage der Achsabweichung kein Obergutachten eingeholt, obwohl die Feststellungen des Dr. xxxx dem gerichtlichen Sachverständigen widersprochen hätten. Schließlich sei auch die Aufklärung über Alternativmethoden nicht ordnungsgemäß gewesen, weil zwar über eine konservative Behandlung gesprochen, diese aber als nicht durchführbar hingestellt worden sei. Die Klägerin hätte sich in jedem Fall für die konservative Behandlung entschieden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Chemnitz aufzuheben und
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 20.000 zzgl. Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2007 zu zahlen sowie
2. festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden, der aus einem ärztlichen Kunstfehler anlässlich der Operation der Klägerin am 8.2.2004 entstanden ist, zu ersetzen hat.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen
Sie vertritt unter Bezug auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag die Auffassung, den in ihrem Klinikum beschäftigten Ärzten könne weder aus dem Einsatz noch aus dem Belassen der Platte der Vorwurf eines Behandlungsfehlers gemacht werden. Unabhängig von dem von ihr erhobenen Einwand hypothetischer Einwilligung habe sich die der Klägerin erteilte Aufklärung auch auf Alternativmethoden und deren jeweilige Chancen und Risiken erstreckt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Gutachters Prof. xxxx im Termin vom 5.2.2010, für deren Ergebnis auf Bl. 183 d.A. Bezug genom...