Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beschaffung sog. strategischer Partnerschaften (ÖPP) durch kommunale Netzunternehmen besteht eine Ausschreibungspflicht nach GWB, wenn - ungeachtet des gewählten Beteiligungsmodells - der Vertrag jedenfalls (auch) Dienstleistungen zum Gegenstand hat, die wertmäßig den maßgebenden Schwellenwert erreichen oder übersteigen.
2. Die Entscheidung für eine Getrennt- oder Zusammenvergabe von Wegekonzession und Eingehung einer ÖPP unterliegt der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers. Deren Ausübung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden, sofern dafür sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen, die eine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung von Bewerbern, und zwar allein wegen der Trennung der Verfahren, ausschließen.
3. Eine lediglich befürchtete oder vermutete Voreingenommenheit der Kommune bei der späteren Vergabe der Verteilnetzkonzession rechtfertigt keinen Eingriff in die Ausschreibung der ÖPP.
4. Bei Eingehung einer ÖPP sind zugesagte Renditen - als nach § 3 Abs. 2 KAV unzulässige Finanzleistungen - nur zu bewerten, wenn sie als eine spezifische Gegenleistung für die Einräumung von Wegenutzungsrechten vereinbart oder gewährt werden.
5. Bei der Vergabe dürfen - dieses mit Blick auf die finanzielle Situation der Kommune und eine Begrenzung ihrer unternehmerischen Risiken - auch wirtschaftliche Ziele sowie kommunale Einflussmöglichkeiten auf das gemeinsame Netzunternehmen berücksichtigt werden.
6. Eine marktbeherrschende Stellung der Kommune bei Wegenutzungsverträgen ist einer kommunalen Netzgesellschaft bei Ausschreibung einer strategischen Partnerschaft nicht zuzurechnen.
Normenkette
GWB §§ 19-20, 97 Abs. 5, § 98 Nr. 4, § 99 Abs. 1, 4, § 107 Abs. 3; EnWG § 46; KAV §§ 2-3
Verfahrensgang
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster (Beschluss vom 08.06.2012; Aktenzeichen VK 6/12) |
Tenor
Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 8.6.2012 (VK 6/12) aufgehoben und der Nachprüfungsantrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer, die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen in diesem Verfahren entstandenen Aufwendungen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter war für die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 65.000 EUR
Gründe
I. Acht Städte und Gemeinden im Münsterland planen, die Elektrizitäts- und Gasnetze in ihren Gebieten selbst zu betreiben. Sie gründeten kommunale Netzgesellschaften, die gemeinsam die Antragsgegnerin (eine interkommunale Netzgesellschaft) errichteten. Die Wegenutzungsverträge bei Strom und Gas laufen aus. Bisherige Konzessionsnehmer und Eigentümer der Strom- und Gasnetze sind die Antragstellerin und die Beigeladene. An demnächst stattfindenden (getrennten) Konzessionsausschreibungen nach § 46 EnWG will sich aktueller Entschlusslage gemäß auch die Antragsgegnerin beteiligen.
Um ihre Chancen bei Konzessionsvergaben zu stärken, will die Antragsgegnerin im Wege einer Minderheitsbeteiligung (49 %) einen sog. strategischen Partner aufnehmen, der beim Betrieb der Versorgungsnetze Führungsaufgaben kaufmännischer und technischer Art übernehmen soll. Das Vorhaben, und zwar ein Verhandlungsverfahren nach SektVO, machte die Antragsgegnerin im Oktober 2010 EU-weit bekannt.
Als mit den Angeboten anzustrebende Ziele gab die Antragsgegnerin an:
- Stärkung ihres fachlichen Know-hows,
- Sicherung der Refinanzierung des Netzerwerbs,
- Finanzierungsbeitrag des Partners beim Netzerwerb,
- Beschleunigung des Netzerwerbs,
- Gewährleistung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung der Netze,
- Mithilfe bei der Entwicklung eines Netzkonzepts.
Als Zuschlagskriterien (mit zahlreichen Unterkriterien und Gewichtungen) wurden in den Vergabeunterlagen genannt:
- Sicherheit der Netzübernahmen (Risikoabdeckung) mit 60 %,
- Rendite des Gesamtprojekts (Wirtschaftlichkeit) mit 18 %,
- Ausgestaltung der vertraglichen Regelungen mit 22 %.
Ferner war in den Vergabeunterlagen angegeben:
Es ist zu berücksichtigen, dass die Konzessionen für die in Rede stehenden Strom- und Gasnetze ggf. in einem den Regeln des § 46 EnWG entsprechenden Verfahren im Wettbewerb errungen werden müssen. Den beteiligten Kommunen dürfen keine Vorfestlegungen hinsichtlich der Konzessionsvergabe abverlangt werden,
sowie an anderer Stelle (Bieterinformation 12 vom 7.6.2011 zum Wertungskriterium Rendite des Gesamtprojekts):
Es werden alle Zusicherungen und Garantien berücksichtigt, die rechtlich zulässig sind. Der Bieter hat, wenn er z.B. einen Garantiezins anbieten möchte, dessen Vereinbarkeit mit § 3 KAV (Bem.: Konzessionsabgabenverordnung) zunächst selbst zu beurteilen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass in diesem Vergabeverfahren nicht über die Konzessionsvergaben entschieden wird und eine Konzessionierung einer ... gemeinsamen Net...