Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist Gegenstand der Anfechtung die Herstellung der Aufrechnungslage. Für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts i.S. des § 140 Abs. 1 InsO kommt es darauf an, dass die Aufrechnungslage (§ 387 BGB) in vollem Umfang entstanden ist. Wird eine streitige Forderung durch nachträgliche Vereinbarung unter Einbeziehung neuer, nicht (teil-)identischer Forderungen auf eine völlig neue Grundlage gestellt und die Aufrechenbarkeit der neuen Forderung mit einer fälligen Gegenforderung vereinbart, ist auf den Zeitpunkt der Vereinbarung abzustellen.

 

Normenkette

BGB § 387; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 140 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Krefeld (Aktenzeichen 7 O 127/18)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.09.2019 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer der Landgerichts Krefeld - Einzelrichterin - (7 O 127/18) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H. von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H. von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 95.200 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger ist aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Landau vom 02.11.2016 (...), mit dem aufgrund eines bei Gericht am 11.08.2016 eingegangenen Eigenantrags das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet wurde, deren Insolvenzverwalter (Anlage K 1, Bl. 7 f. GA).

Zwischen der Schuldnerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H. GmbH & Co. KG (nachfolgend nur: Beklagte), bestand ein Vertrag vom 26.11./03.12.2012 über die Wartung von zwei Blockheizkraftwerken (BHKW), aus dem die Schuldnerin mit Anwaltsschreiben vom 17.11.2015 (Anl. HWH 1) Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung i.H. von 503.722,62 EUR geltend gemacht hatte. Zur Beilegung der hieraus resultierenden Streitigkeiten trafen die Parteien am 04.07.2016 eine Vereinbarung, wonach die Beklagte sich u.a. verpflichtete, eine Schadensersatzrechnung der Schuldnerin i.H.v. 150 TD EUR zu begleichen. Ferner sollte der alte Wartungsvertrag durch einen neuen ersetzt werden, der ein weiteres BHKW-Modul einschloss. Unter Ziff. 3 der Vereinbarung vom 04.07.2016 heißt es:

"H. erhält eine weitere Rechnung der ... über 80.000,- EUR zzgl. USt. für ausgeführte Modernisierungen/Anpassungen an den bestehenden insgesamt 3 BHKW-Modulen (...). Die Leistungen dieser Rechnungen sind Bestandteil des neuen Wartungsvertrags und daher durch H. zu tragen. Diese Rechnung wird durch B. [die Schuldnerin] mit den ausstehenden Zahlungen für die Quartale 4.2015 und 1.2016 in ca. gleicher Höhe aufgerechnet (Rechnung 9770017990 über 33.377,04 zzgl. USt abzgl. Gutschrift 9770017991 über 2.066,82 zzgl. USt zzgl. Rechnung 9770018261 über 47.760,00 zzgl. USt. = 79.070,22 zzgl. USt)."

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vertragsurkunde (Anlage K 2, Bl. 9 f. GA) Bezug genommen.

Unter dem 06.07.2016 rechnete die Schuldnerin vereinbarungsgemäß den Betrag i.H. von brutto 95.200 EUR gegenüber der Beklagten ab (Anlage K 3, Bl. 12 GA). Mit Schreiben vom 25.07.2016 erklärte die Schuldnerin gegenüber der Beklagten die Aufrechnung wie in der Vereinbarung vom 04.07.2016 vorgesehen (Bl. 11 GA).

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 11.04.2017 vergeblich zur Zahlung des Rechnungsbetrages bis zum 28.04.2017 auf. Der Rechnungsbetrag zzgl. Zinsen i.H. von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2017 ist Gegenstand der Klage.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Aufrechnungserklärung der Schuldnerin sei gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Hierzu hat er behauptet, zum 04.07.2016 sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen. Die Gläubiger seien - was unstreitig ist - zu einem Schuldenschnitt nicht bereit gewesen. Verschiedene Gläubiger hätten über fällige Forderungen verfügt, die bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr bedient worden seien. Insoweit wird auf die Aufstellung auf Seite 4 der Klageschrift sowie die Forderungsanmeldungen zur Insolvenztabelle (Anlagenkonvolut K 6) verwiesen. Die Zwischenbilanz der Schuldnerin zum 30.06.2016 habe einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von rund 1.686.000,- EUR ergeben (Anlage K 5, Bl. 35 ff. GA). Stille Reserven seien nicht vorhanden gewesen. Eine positive Fortführungsprognose habe nicht bestanden.

Die Beklagte hat behauptet, ihr stünde gegenüber der Rechnung der Schuldnerin vom 06.07.2016 ein Zurückbehaltungsrecht zu, da die Rechnung nicht den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistungen beinhalte bzw. dieser evident falsch sei. Zum Zeitpunkt der behaupteten Zahlungsaufforderung habe die Beklagte nicht mehr existiert. Sie hat die Ansicht vertreten, die §§ 94-96 InsO seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die Au...

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