Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung des Art. 1 Abs. 1 HZÜ setzt voraus, dass es sich um eine "Zivil- oder Handelssache" handelt.
2. Soll die an ein ausländisches Gericht gerichtete Klageschrift an einen Träger hoheitlicher Gewalt in Deutschland zugestellt werden, kommt es darauf an, ob die dem Klagebegehren zugrunde liegende maßgebliche Natur des staatlichen Handelns oder des entstandenen Rechtsverhältnisses als hoheitlich oder nicht-hoheitlich zu beurteilen ist.
a) Maßgeblich dafür ist, ob der Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt - und damit öffentlich-rechtlich - oder wie eine Privatperson - und damit privatrechtlich - tätig geworden ist.
b) Dabei ist der Sachvortrag des Antragstellers anhand der mit dem Ersuchen übermittelten Unterlagen maßgebend. Die fehlerhafte Verwendung juristischer Begriffe oder die Zitierung von Normen, die nur auf Hoheitsträger anwendbar sind, sind für die rechtliche Qualifizierung irrelevant.
3. Eine Ablehnung des Zustellungsersuchens gemäß Art. 13 Abs. 1 HZÜ darf nur erfolgen, wenn bereits die Zustellung (d.h. weder der Antrag noch die Folgen des mit der Zustellung eingeleiteten Verfahrens) besonders schwere Beeinträchtigungen der Wertungsgrundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich bringen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bewilligung der Zustellung einer Klage nicht präjudiziell für die hiervon zu unterscheidende Frage der Zulässigkeit der Anerkennung und Vollstreckung eines späteren Urteils ist.
Normenkette
HZÜ Art. 1 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1
Tenor
Unter Aufhebung seines Bescheides vom 31. März 2021 wird der Antragsgegner verpflichtet, die Antragsteller über die Erledigung ihres Rechtshilfeersuchens vom 01. Dezember 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Gründe
I. Die Antragsteller, vertreten durch Attorney A., Kansas City/Missouri, haben den Antragsgegner mit bei Gericht am 03. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz um Zustellung einer Klageschrift vom 15. Oktober 2020 gegen die Museen der Stadt L. vor dem United States District Court für den District von Columbia nach Art. 5 Abs. 1 lit. a des Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: HZÜ) ersucht.
Der beabsichtigten Klage liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Antragsteller sind Treuhänder des T. Trust. Auf diesen sollen die Rechte des Alleinerben des im Jahr 1944 verstorbenen Künstlers Piet Mondrian übergegangen sein. Die in Aussicht genommene Beklagte ist ein Kollektiv von Kunstmuseen, die von der Stadt L. betrieben werden und das auch das Kaiser Wilhelm Museum (im Folgenden: KWM) umfasst. Die Klage ist gerichtet auf die Rückgabe von vier von Piet Mondrian in den 1920er Jahren geschaffenen, näher bezeichneten Gemälden (Ziff. 27 der Klageschrift), die sich im Besitz des KWM befinden sollen, sowie auf Schadensersatz bzw. Herausgabe des Ersatzes für vier weitere seiner Gemälde, die sich in der Obhut der Beklagten befunden haben sollen. Die acht Gemälde sollen im Jahr 1929 zur Durchführung einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst auf Veranlassung des Künstlers nach Abschluss einer Ausstellung in Frankfurt leihweise an das KWM zur Verfügung gestellt worden sein. Die Ausstellung fand nicht statt; die Gemälde sollen in der Obhut des KWM geblieben sein.
Unter der NS - Herrschaft wurden die Werke Mondrians nach 1933 als "entartet" klassifiziert. Da die acht Werke im KWM nicht inventarisiert wurden, sollen sie erhalten geblieben und erst um das Jahr 1950 wieder entdeckt worden sein.
Vier der acht Gemälde sollen zwischen 1951 und 1953 unter Verstoß gegen das britische Militärgesetz Nr. 52 weiterverkauft bzw. gegen andere Kunstwerke getauscht worden sein. Erstmals 1954 sollen die vier verbliebenen Werke im internen Inventar des KWM aufgeführt worden sein. Die Antragsteller wollen erst im Jahr 2017 nach aufwendigen Nachforschungen Dritter von ihrer Inhaberschaft an den Gemälden erfahren haben. Mit Schreiben vom 08. Februar 2018 soll der Oberbürgermeister der Stadt L. die Rückgabe der vier Mondrian Werke abgelehnt haben; die Endgültigkeit der Entscheidung soll am 12. Juli 2019 bestätigt worden sein.
Die Antragsteller machen aus Erbschaft Ansprüche auf Restitution/Rückgabe sowie Schadensersatz hinsichtlich der acht Kunstwerke geltend (Ziff. 1, 67 der Klageschrift). Für die nicht eingetretene Verjährung ihrer Ansprüche berufen sie sich auf den "Holocaust Expropriated Art Recovery Act" (Gesetz zur Rückforderung von im Rahmen des Holocausts enteigneter Kunst) von 2016 (HEAR-Act, Ziff. 79 der Klageschrift).
Hinsichtlich der vier noch vorhandenen Werke machen sie konkret Ansprüche auf Herausgabe nach Hinterlegung, hilfsweise Wertersatz und ungerechtfertigte Bereicherung aus einem fiktiven Treuhandverhältnis (constructive trust) und auf Restitution in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe, geschätzt mehr als 200 Mio. USD, geltend (Zif...