Leitsatz (amtlich)
Bei der Unternehmensbewertung in Spruchverfahren sind im Regelfall die am Bewertungsstichtag geltenden Bewertungsgrundsätze anzuwenden. Eine rückwirkende Anwendung eines neueren Bewertungsstandards kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dies für die seinerzeit beteiligten Unternehmen und Minderheitsaktionäre zu nicht vorhersehbaren, erheblichen Veränderungen des Unternehmenswertes und damit der Barabfindung führen würde (hier die rückwirkende Anwendung des IDW S 1 2005).
Normenkette
AktG § 305 Abs. 1, § 327a Abs. 1, § 327b Abs. 1, § 327f Abs. 1; SpruchG a.F. § 12 Abs. 2 S. 2; FGG § 28 Abs. 2-3
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 33 O 128/06 (AktE)) |
Tenor
Die Beschwerdesache wird dem BGH gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG a.F., § 28 Abs. 2 und 3 FGG zur Entscheidung vorgelegt.
Gründe
A. Das Grundkapital der Antragsgegnerin zu 1, vormals "S. AG" (S. AG), betrug Anfang 2003 190.174.525 EUR und war auf 76.069.810 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem Nennbetrag i.H.v. 2,50 EUR eingeteilt. Gegenstand der S. AG als Logistikunternehmen war die Planung und Steuerung des Transports sowie der Lagerung von Gütern. Die S. AG verfügte als Obergesellschaft über 3 Tochtergesellschaften, die im Wesentlichen das Inlandsgeschäft ausführten. Die Sch. (Geschäftsbereich Verkehr) generierte im Jahr 2001 rund 50 % des Gesamtumsatzes des Konzerns (32.000 Mitarbeiter). Die Sparte B. AG (Geschäftsbereich Chemie) war im Jahr 2001 weltweit zweitgrößter Chemiedistributeur und mit rund 38 % am Gesamtumsatz des Konzerns beteiligt. B. beschäftigte 8.300 Mitarbeiter. Die S. K. AG (Geschäftsbereich Werkstoffe) erzielte mit 2.100 Mitarbeitern 12 % des Konzernumsatzes.
Darüber hinaus hielt die S. AG noch verschiedene Beteiligungen an ausländischen Unternehmen. Der Konzernumsatz betrug im Geschäftsjahr 2001 12,3041 Milliarden EUR, die Eigenkapitalquote 2002 28 %. Das Unternehmen beschäftigte im Jahr 2001 weltweit rund 43.000 Mitarbeiter.
Am 6.8.2002 hatte die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin zu 2 (D. AG), die E. mbH (E. Vermögensverwaltungsgesellschaft), Stammkapital 25.600 EUR und damals eine 100%ige Tochter der Antragsgegnerin zu 2, den Aktionären der S. AG ein öffentliches Übernahmeangebot gem. § 29 Abs. 1 WpÜG zur Übernahme ihrer Aktien unterbreitet. In der Folge erhöhte die E. Vermögensverwaltungsgesellschaft ihren Aktienbestand auf 75.849.333 Inhaber-Stückaktien der S. AG (99,71 % des Grundkapitals der Antragsgegnerin zu 1). Die verbliebenen 220.477 Inhaber-Stückaktien befanden sich im Streubesitz.
Am 8.10.2002 forderte die E. Vermögensverwaltungsgesellschaft gem. § 327a Abs. 1 AktG dazu auf, dass die Hauptversammlung der S. AG die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre beschließen solle.
In der außerordentlichen Hauptversammlung der S. AG vom 17.2.2003 wurde beschlossen, dass die Minderheitsaktionäre ihre Aktien gemäß den §§ 327a ff. AktG gegen eine Barabfindung i.H.v. 39,85 EUR auf den Hauptaktionär zu übertragen hatten. Sofern der Übertragungsbeschluss vor dem Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns für das Jahr 2002 im Handelsregister eingetragen werden sollte, sollte sich die Barabfindung um 0,53 EUR auf 40,38 EUR je Aktie erhöhen.
Im Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage hatte sich die S. AG dann am 9.5.2003 vor dem LG Duisburg in einem echten Vertrag zugunsten Dritter verpflichtet, die Barabfindung nach Maßgabe des Vergleichs zu erhöhen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Q. (Q.) berechnete anhand der Vorgaben aus dem Vergleich (Betafaktor 0,6 statt 1,0) eine Barabfindung i.H.v. 52 EUR. Bei der Berechnung sollten die "übrigen Methoden, Parameter und Prämissen, die der Ermittlung der ursprünglichen Barabfindung zugrunde lagen", unverändert bleiben. Die Antragsgegnerin zu 2, die dem Verfahren beigetreten war, verpflichtete sich, die Mindestabfindung anzuerkennen und sicherzustellen, dass die S. AG ihren Verpflichtungen aus einem Spruchverfahren nachkommt (harte Patronatserklärung). Es wurde vereinbart, dass dieser Betrag im Spruchverfahren nicht unterschritten werden sollte. Im Übrigen sollte die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung unberührt bleiben. Die Börsenkurse lagen zu keinem Zeitpunkt über der im Vergleich angebotenen Abfindung von 52 EUR.
B. und der Teilbereich der I. "I. -Stahl", der rund 60 % zum Geschäftsbereich I. "Stahl und Rohstoffe" beitrug, wurden im ersten Quartal 2004 an den Finanzinvestor B. für rund 1,4 Milliarden EUR verkauft. Der Verkauf dieser beiden Geschäftsbereiche war bereits vor dem Bewertungsstichtag angestrebt und angekündigt worden, wobei jedoch weder Käufer, Preis noch Veräußerungszeitpunkt festgelegt gewesen waren.
In der Präambel des am 3.7.2002 zwischen der G. AG, der S. AG und der D. AG geschlossenen Vertrages über den Erwerb des S.-Paketes war der Hinweis aufgenommen worden, dass der Käufer sich "zu einem geeigneten Zeitpunkt" von den Aktivitäten Chemie und Werkstoffe trennen wolle....