Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung von wechselseitigen, sukzessiven, vertragsändernden bzw. vertragsbeendenden Erklärungen von Werkvertragsparteien ist eine chronologische Prüfungsmethode anzuwenden und - entgegen KG Berlin vom 16.02.2018 (21 U 66/17, dort Leitsatz 3 bzw. Rn. 67/77 mwN) - keine "materielle Gesamtbetrachtung" (d.h. ungeachtet des konkreten chronologischen Ablaufs) vorzunehmen. Maßgeblich ist allein, welche von zwei wechselseitigen, sukzessiv erfolgten Kündigungen als erste auf wirksame Weise das Vertragsverhältnis für die Zukunft beendet hat.
2. Eine Kündigung seitens des Auftragnehmers gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (ebenso wie eine Kündigung seitens des Auftraggebers gemäß § 8 Abs. 5 VOB/B) muss grundsätzlich schriftlich erfolgen. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise im Einzelfall gelten, wenn die mündliche Kündigung als ausreichende Kündigung - d.h. quasi im Sinne einer einverständlichen Vertragsaufhebung - akzeptiert wird bzw. von einer konkludenten Abbedingung der Schriftform ausgegangen werden kann.
3. Erklärt der Auftraggeber, er sehe die (objektiv zu Recht erfolgte) erfolgte Anforderung einer Sicherheit gemäß § 648a BGB (a.F.) als "gegenstandslos" an, steht dies einer ernsthaften und endgültigen Verweigerung der Sicherheit gleich und begründet zeitgleich (und noch vor Fristablauf) ein Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers.
4. Eine unwirksame außerordentliche Kündigung ist - mangels Vorbehalt bzw. Klarstellung - regelmäßig als freie Kündigung des Auftraggebers auszulegen bzw. dahin umzudeuten.
5. Hinsichtlich des anderweitigen Erwerbs trifft den Auftraggeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, den Auftragnehmer indes eine sekundäre Darlegungslast dazu, ob und ggf. wie durch einen sog. "Füllauftrag" die kalkulierten Kosten gedeckt worden sind. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist, um so ausführlicher müssen die Angaben sein. Der Auftraggeber kann indes grundsätzlich nicht verlangen, dass der Auftragnehmer von vornherein seine gesamte Geschäftsstruktur offen legt, um ihm die Beurteilung zu ermöglichen, welche Aufträge auch ohne die Kündigung akquiriert worden wären.
6. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung des Auftraggebers und einem Ersatzauftrag bestehen, um diesen als sog. "Füllauftrag" bewerten zu können. War der Auftragnehmer in der Lage, neben dem gekündigten Auftrag weitere Aufträge auszuführen, sind diese nicht als sog. "Füllaufträge" anzusehen. Sog. "Füllaufträge" können auch vorliegen, wenn sie später als der gekündigte Auftrag ausgeführt werden.
7. Die Anrechnung anderweitigen Erwerbs ist getrennt nach Kostenarten vorzunehmen.
Verfahrensgang
LG Krefeld (Aktenzeichen 11 O 42/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Krefeld vom 18.04.2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Krefeld zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die Klägerin hat in erster Instanz aus einem vorzeitig beendeten VOB-Vertrag über Abbruch-, Erd- und Maurerarbeiten vom 16.04.2015 zuletzt eine Vergütung (für erbrachte und für nicht erbrachte Leistungen) in Höhe von 264.259,42 EUR nebst Prozesszinsen geltend gemacht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, wobei wegen der Darstellung von teilweise notwendigen Änderungen bzw. Ergänzungen auf die tatsächlichen Feststellungen in den Gründen dieses Urteils Bezug genommen wird.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme durch (357 ff. GA) durch Zeugenvernehmung (379 ff. GA, 589 ff. GA), Hinweisen (591, 603, 675 GA) und weiterer Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen G. (768 ff. GA) - nur in Bezug auf erbrachte Leistungen und auch insoweit nur teilweise in Höhe von 28.995,36 EUR nebst Prozesszinsen unter Klageabweisung im Übrigen entsprochen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
1. Der Klägerin stehe dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 631 Abs. 1, 16 VOB/B zu.
Zwischen den Parteien sei am 14.05.2015 ein Werkvertrag unter Einbeziehung der VOB/B und C über den Abriss der bisherigen Bebauung und einen Neubau an der Kölner Straße in Krefeld abgeschlossen worden.
1.1. Bei diesem Vertrag handele es sich um einen Detailpauschalvertrag. Kennzeichnend für diesen sei, dass der Auftragnehmer nicht das volle Mengenrisiko übernehme. Ein Detailpauschalvertrag sei anzunehmen, wenn bei Vertragsabschluss ein detailliertes Leistungsverzeichnis - wie hier - vorgelegen habe. In diesem Fall habe der Auftragnehmer die von dem Auftraggeber vorgegebenen Mengen zu prüfen und für die sich aus seinen Mengenermittlungskriterien ergebenden Mengen ein Pauschalpreisangebot anzugeben. Er trage somit das Mengenermittlungsrisiko, nicht das Vollständigkeitsrisiko. Fehlten einzelne Leistungen in dem Leistu...