Leitsatz (amtlich)
›1. Anläßlich einer diagnostischen Laparoskopie kann es unverschuldet zur Verletzung eines Blutgefäßes kommen, da die unter der Bauchdecke verlaufenden Arterien bei der Einführung des Trokars nicht zu erkennen sind. Eine auf der Läsion beruhende Blutung ist nicht unbedingt vor Beendigung des Eingriffs festzustellen Zu Beginn einer Laparoskopie wird nämlich im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit ein Gas in die freie Bauchhöhle insuffliert; dadurch kommt es zu einer Anspannung der Bauchdecke, die den vorübergehenden Verschluß eines verletzten Blutgefäßes bewirken kann.
2. Nach einem laparoskopischen Eingriff sind regelmäßig Blutdruck und Herzfrequenz einer Patientin zu kontrollieren, um eine eventuelle Gefäßverletzung frühzeitig diagnostizieren zu können. Da das Kreislaufsystem einen Blutverlust durch eine Erhöhung der Herzfrequenz kompensieren kann, geben nur beide Parameter gemeinsam ein zuverlässiges Bild über den klinischen Zustand der Patientin.
3. Die postoperative Überwachung nach einer ambulanten Laparoskopie obliegt sowohl dem chirurgisch tätigen Gynäkologen als auch dem für die Narkose zuständigen Anästhesisten; beide haben grundsätzlich die Erkennung und Behandlung der für ihr Fachgebiet spezifischen Komplikationen zu gewährleisten. Ist die Durchführung der gebotenen Kontrollen nicht gesichert, weil die verantwortlichen Ärzte an weiteren Operationen beteiligt sind und sich nur in unregelmäßigen, von den zufälligen Pausen bestimmten Zeitabständen um die frisch operierten Patientinnen kümmern können, liegt ein haftungsbegründender Organisationsmangel vor.
4. Erleidet eine Patientin nach einem erheblichen Blutverlust und darauf beruhenden Herzstillständen eine hypoxische Hirnschädigung, die die feinmotorischen Fähigkeiten beeinträchtigt und darüber hinaus erhebliche kognitive Störungen verursacht, kommt ein Schmerzensgeld von 100.000,-- DM in Betracht, wenn infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Weiterbeschäftigung in dem erlernten und ausgeübten Arztberuf nicht mehr möglich ist.‹
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 3 O 319/99) |
Tatbestand
Die am 16. Februar 1957 geborene Klägerin ist Ärztin und war früher in der gynäkologischen Klinik eines Krankenhauses tätig. Wegen eines unerfüllten Kinderwunsches begab sie sich am 28. Juli 1993 in die Behandlung des Beklagten zu 1), der gemeinsam mit den Zeugen Dr. S und M in D eine frauenärztliche Gemeinschaftspraxis betreibt. Dieser schlug nach einer Untersuchung zur weiteren Fertilisationsdiagnostik die ambulante Durchführung einer Laparoskopie vor. Mit einer solchen Maßnahme war die Klägerin einverstanden.
Sie begab sich deshalb am Vormittag des 28. Oktober 1993 als Privatpatientin in die Praxis. Dort leitete die Beklagte zu 2), die an mehreren Tagen der Woche freiberuflich als Anästhesistin für die Gynäkologen tätig war, gegen 15.00 Uhr die Narkose ein. Der Beklagte zu 1) führte sodann den vorgesehenen Eingriff durch, der als komplikationslos beschrieben ist (vgl. Operationsbericht, Anlage 1 zur Klageschrift) und gegen 15.30 Uhr beendet war. Um 15.95 Uhr wurde die Patientin in den Aufwachraum der Praxis verlegt, in dem sie wiederholt Infusionslösungen erhielt. Gegen 16.45 Uhr fühlte sich die Klägerin unwohl und mußte erbrechen. Es wurde ein Blutdruck von nur 75/40 mm/Hg festgestellt; darüber hinaus ergab eine Blutuntersuchung einen auf 7,5 g % extrem erniedrigten Hämogiobinwert. Da man angesichts dieser Befunde die Verletzung eines größeren Blutgefäßes vermutete, verständigte man kurz nach 17.00 Uhr einen Notarzt, der die Patientin unmittelbar nach seinem Eintreffen gegen 17.10 Uhr in einer, transportfähigen Zustand versetzte und in die Universitätsfrauenklinik verlegte (vgl. Bericht des Notarztes Dr. P über seinen Notarzteinsatz, Anlage 2 zur Klageschrift). In dem Krankenhaus wurde unverzüglich eine notfallmäßige Laparotomie durchgeführt; in deren Verlauf stellte sich heraus, daß es bei dem vorangegangenen ambulanten Eingriff des Beklagten zu 1) zu einer Verletzung der Arteria epigastrica superficialis dextra gekommen war; aus dieser wunde hatten sich etwa 4 l Blut in den Bauchraum entleert (vgl. Operationsbericht vom 28. Oktober 1993, Anlage 4 zur Klageschrift). Während der Operation kam es wiederholt zu Herzstillständen, die zunächst mit einem Defibrillator und später unter Hinzuziehung eines Herzchirurgen nach einer Thoracotomie mit direkten Massagen behandelt wurden. Es gelang nur allmählich, der Zustand der Klägerin zu stabilisieren. Sie war vom 28. Oktober bis zum 23. Dezember 1993 in der stationären Behandlung verschiedener Krankenhäuser und wurde sodann bis zum 11. März 1994 ambulant von dem neurologischen Therapiezentrum der Universität betreut (vgl. Berichte vom 4. November 1993, 15. November 1993, 23. November 1993, 21. Januar 1994 und 21. März 1994, Anlagen 7-11 zur Klageschrift).
Die Klägerin macht Ersatzansprüche geltend. Sie hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe aufgrund einer Unachtsamkeit bei der Lapar...