Leitsatz (amtlich)
1. Eine Bank ist nicht verpflichtet, ihren Kunden beim Verkauf von Inhaberschuldverschreibungen - hier Zertifikaten der insolventen Lehman Group - darüber aufzuklären, dass und in welcher Höhe sie hierbei eine Gewinnmarge erzielt.
2. Ein Widerrufsrecht nach den §§ 312b, 312d BGB ist bei Inhaberschuldverschreibungen der hier vorliegenden Art auch dann nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ausgeschlossen, wenn die Schuldverschreibungen noch nicht börsennotiert sind, ihr Preis aber von der Entwicklung bestimmter Börsenindizes abhängig ist (entgegen LG Krefeld, U. vom 14.10.2010, BKR 2011, 32 ff.).
Normenkette
BGB §§ 280, 312d
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 01.06.2010; Aktenzeichen 3 O 328/09) |
BGH (Aktenzeichen XI ZR 384/11) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 1.6.2010 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Mönchengladbach wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes die Rückabwicklung des Erwerbs der im Antrag genauer bezeichneten Schuldverschreibung der niederländischen Tochter der amerikanischen Bank Lehman Brothers.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind Bankkunden der früheren D.'er Bank, die mit der Beklagten verschmolzen wurde, und unterhalten ein Wertpapierdepot, über das sie zahlreiche Wertpapiergeschäfte abgewickelt haben. Im Depot befanden sich verschiedene Zertifikate. Der Anlageberater der Beklagten, der Zeuge K., empfahl den Eheleuten die streitgegenständliche Anlage. Der Ehemann der Klägerin erteilte zum 8.2.2007 den Auftrag zum Kauf von 16 im Antrag bezeichneten Zertifikaten zum Kurs von je 1.004,35 EUR. Dem Konto wurde der Gesamtpreis von insgesamt 16.069,60 EUR ohne sonstige Positionen, Kosten oder Provisionen (Wertpapierabrechnung Anlage K 1, Bl. 5) am 15.2.2007 belastet. Für diesen Erwerb erwirtschaftete die Beklagte, wie sie erst später mitteilte, 3,5 % Verkaufsprovision, die nicht zusätzlich den Klägern berechnet wurde, sondern von der Emissionsbank im Produkt einkalkuliert war.
Die Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen gem. § 793 BGB und keine Anlage im Sinne des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes (EAEG), so dass sie keiner Einlagensicherung unterliegen. Die Bedingungen dieser Zertifikate sind im Wesentlichen: Es werden ein anfänglicher Bewertungsstichtag (6.2. und 7.2.2007) und drei Beobachtungszeiträume von je 1 Jahr festgelegt, in dem drei als Basiswerte dienende Aktienindizes (Dow Jones Euro Stoxx 50, Standard & Poor 500, Nikkei 225) beobachtet werden. Es kann zu verschiedenen Verläufen kommen:
Fällt keiner der drei Indizes im Beobachtungszeitraum unter einer Wertschwelle von 60 % des Ausgangswertes, erhält der Anleger nach dem entsprechenden Beobachtungszeitraum einen Bonus von 8,75 % des Nominalbetrages pro Zertifikat. 7
Bleiben alle Indizes innerhalb eines Jahres oberhalb ihres Ausgangswertes, wird der Anlagebetrag vorzeitig zu 100 % zurückgezahlt.
Bewegt sich mindestens ein Index unterhalb des Ausgangswertes, aber oberhalb von 60 % des Ausgangswertes, so erfolgt die Rückzahlung zu 100 % bei Endfälligkeit.
Fällt einer der drei Indizes in einem Beobachtungszeitraum unter die Wertschwelle von 60 %, erfolgt keine Bonuszahlung mehr für diesen Zeitraum und auch in Zukunft nicht mehr. Der Betrag für die Rückzahlung ergibt sich in diesem Fall aus dem Nominalbetrag des Zertifikats multipliziert mit der Wertentwicklung des Index, der während der Zeiträume die niedrigste Performance aufwies. Dadurch kann sich ein Rückzahlungswert von weniger als 100 % der Zeichnungssumme ergeben.
Die Zertifikate wurden ab 1.8.2007 (Bl. 75) an der Börse gehandelt.
Am 13.5.2008 erhielten die Kläger als Ertrag aus den Zertifikaten eine Zahlung i.H.v. 1.400 EUR, weil einer der Indizes unterhalb von 100 %, aber oberhalb von 60 % der Wertschwelle lag. In der Folgezeit kam es zur weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, in deren Zusammenhang der Herausgeber der Zertifikate und ihr amerikanischer Garantiegeber, die amerikanische Bank Lehman Brothers, im September 2008 Insolvenz anmeldete. Die Zertifikate sind somit heute nahezu wertlos.
Die Klägerin hat behauptet, der Bankberater der Beklagten habe den Ehemann an seinem Arbeitsplatz bei der Kriminalpolizei angerufen und die Anlage beworben. Sie hätten die bestehenden Anlagen gar nicht verkaufen wollen, mit denen sie mindestens 4 % Zinsen hätten erwirtschaften können. Der Auftrag zur Anlage sei ausschließlich telefonisch erfolgt. Der Bankberater habe über die Anlage nicht aufgeklärt, insbesondere die Funktionsweise der Zertifikate nicht erläutert und Risiken nicht benannt. Er habe nur angeführt, dass es sich um eine sichere...