Leitsatz (amtlich)

Zu der Frage, unter welchen Umständen die Kindesmutter vor der Entbindung über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts wegen des Bestehens ernsthafter Gefahren für das Kind bei Durchführung der vaginalen Geburt (hier: Gefahr der Schulterdystokie) aufzuklären ist.

 

Verfahrensgang

LG Mönchengladbach (Urteil vom 20.09.2006; Aktenzeichen 6 O 217/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 20.9.2006 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Feststellung der Ersatzpflicht für alle materiellen und künftigen immateriellen Schäden aufgrund einer bei seiner Geburt am 30.9.1997 erlittenen Erb'schen Parese des rechten Arms in Anspruch.

Die Mutter des Klägers hatte bereits in den Jahren 1981 und 1982 zwei gesunde Kinder mit einem Geburtsgewicht von 3.000g bzw. 4.500g problemlos vaginal entbunden. Im Jahre 1997 war sie erneut schwanger; errechneter Geburtstermin war der 11.10.1997. Der Verlauf der Schwangerschaft war unauffällig. Die Mutter des Klägers hatte bei einer Körpergröße von 165 cm während der Schwangerschaft knapp 17 kg zugenommen und wog jetzt 81 kg. Am 20.9.1997 stellte sich die Mutter des Klägers wegen zunehmender Atembeschwerden im Krankenhaus der Beklagten zu 1) vor. Bei unauffälligem CTG ergab die Ultraschalluntersuchung ein Schätzgewicht von 3.700g. Die stationäre Aufnahme im Krankenhaus der Beklagten zu 1) erfolgte am 29.9.1997 in der 38.+2. Schwangerschaftswoche bei Verdacht auf vorzeitigen Blasensprung und leichter Wehentätigkeit. Das zu diesem Zeitpunkt per Ultraschall ermittelte Schätzgewicht des Klägers lag bei etwa 4.000g. Das durchgeführte CTG war unauffällig; die Fruchtblase war nach der ärztlichen Aufnahmeuntersuchung noch intakt. Nach ärztlicher Anordnung sollte zunächst der spontane Geburtsverlauf abgewartet werden.

Nach 22.00 Uhr kam es zu einer vermehrten CTG-Auffälligkeit in Form von variablen Dezelerationen, weshalb ab 23.10 Uhr ein Wehentropf angeschlossen wurde. Gegen 1.05 Uhr am 30.9.1997 kam es zu einem spontanen Blasensprung mit Abgang von reichlich grünlich tingiertem Fruchtwasser. Um 5.45 Uhr war der Muttermund vollständig eröffnet; um 6.35 Uhr gab die Mutter des Klägers starken Pressdrang an; der kindliche Kopf stand zu diesem Zeitpunkt einen Querfinger über Beckenboden. Nach Anlage einer mediolateralen Episiotomie wurde der kindliche Kopf um 6.38 Uhr aus erster vorderer Hinterhauptslage geboren. Die kindlichen Schultern folgten nicht spontan; es wurde eine Schulterdystokie (hoher Schultergradstand) diagnostiziert. Dem sofort benachrichtigten Beklagten zu 3) gelang es, die verkeilte Schulter zu lösen, so dass um 6.44 Uhr ein makrosomes, etwas übertragenes männliches Neugeborenes entwickelt werden konnte. Der Kläger wog bei seiner Geburt 4.870g bei einer Länge von 56 cm und einem Kopfumfang von 36 cm. Er wurde primär intubiert und nach 25 Minuten von den eintreffenden Pädiatern übernommen.

Direkt nach der Geburt fiel auf, dass der Kläger zwar die rechte Hand bewegte, der rechte Arm aber nicht gehoben werden konnte. Es wurde eine Erb'sche Plexusparese diagnostiziert, die zunächst mit Krankengymnastik und entlastender Lagerung behandelt wurde. Im November 1997 erfolgte eine Vorstellung des Klägers in der Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik Aachen, bei der eine verbesserte Beweglichkeit der Hand und der Schulter festgestellt werden konnte, ohne dass jedoch eine ausreichende spätere Funktionalität des Arms gegeben war. Ausweislich eines Berichts des Kinderarztes Dr. R. an die Haftpflichtversicherung der Beklagten vom 9.10.2000 konnte der Kläger zu diesem Zeitpunkt aufgrund der fortbestehenden oberen Plexusparese den rechten Arm nur eingeschränkt benutzen; eine völlig Wiederherstellung war danach nicht zu erwarten.

Der Kläger hat den Beklagten - gestützt auf einen Bescheid der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler - vorgeworfen, seine Mutter nicht über die Alternative der Kaiserschnittentbindung aufgeklärt zu haben. Er hat behauptet, angesichts der bei seiner Mutter vorliegenden Risikofaktoren sei die Sectio als ernsthafte Behandlungsalternative in Betracht gekommen, so dass eine entsprechende Aufklärung hätte erfolgen müssen. Da bei der Aufnahme der Toraxdurchmesser den biparietalen Durchmesser überstiegen habe, hätten Hinweiszeichen auf eine fetale Makrosomie vorgelegen. Aufgrund der Messungenauigkeit der Ultraschalluntersuchung hätten die Ärzte hier mit einem Geburtsgewicht von 4.400g rechnen müssen. Unter Berücksichtigung der Adipositas seiner Mutter und der Tatsache, dass diese bereits ein über 4.000g schweres makrosom...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge