Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung eines Schiedsgerichts
Leitsatz (amtlich)
Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public international kann nicht damit begründet werden, dass ein Schiedsgericht bei einer Beweiswürdigung nicht angibt, welchen konkreten Beweiswert es einzelnen Indizien beigemessen hat.
Tenor
1. Der nach der ICC-Schiedsgerichtsordnung am 13. Oktober 2020 in Mailand (Italien) unter dem Aktenzeichen der ICC 23550/GR erlassene Schiedsspruch des Schiedsgerichts, bestehend aus ..., mit dem die Antragsgegnerinnen verurteilt worden sind,
a) an die Antragstellerinnen USD 130.000,00 und
b) an die Antragstellerinnen EUR 450.000,00 und weitere EUR 62.126,62 sowie weitere EUR 20.485,06 (Sozialversicherungsabgaben) zu zahlen,
wird für vollstreckbar erklärt.
2. Die Antragsgegnerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Dieser Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf EUR 650.004,28 festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs.
Gegenstand des Schiedsverfahrens war der Verkauf sämtlicher Aktien der im Chemiesektor tätigen C S.p.A., einer Aktiengesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Stadt1 in der Provinz1 in der Region1 an die Antragsgegnerin zu 1. Die Antragstellerinnen zu 1 bis 3 waren Gesellschafter der C S.p.A.
Die Vertragsverhandlungen, die im Ergebnis zum Abschluss des Anteilskaufvertrags führten, wurden im Juni 2008 auf der Grundlage eines im Auftrage der Antragstellerinnen von D verfassten "Confidential Information Memorandum" eingeleitet, in dem sich u. a. auch folgende Ausführungen befinden:
"[...] in preparation for the proposed transaction, an environmental consulting firm is conducting a review of the plant. The review is continuing, but so far the Seller is not aware of any significant environmental issues at the Stadt1 site [...]. The seller commissioned environmental assessments of the soil at the site in 1996, 2004 and 2008 (still in progress), in order to maintain a good level of pollutant monitoring of the soil and groundwater [...]."
Die Parteien schlossen am 19. Dezember 2008 den Anteilskaufvertrag ("SPA"). Dieser enthielt in Art. 13.2 eine umfassende Schiedsklausel. Die Anteile wurden durch die Antragsgegnerin zu 1 erworben, während die Antragsgegnerin zu 2 das Vertragswerk als Garantiegeberin unterzeichnete. Der dingliche Vollzug des Anteilskaufvertrags erfolgte sodann am 5. Februar 2009.
Im Juni 2017 - also etwa neun Jahre nach Abschluss des Anteilskaufvertrags - erstellte die Nucleo Operativo Ecologico ("NOE"), eine Untereinheit für Umweltschutz der Carabinieri, einen nichtöffentlichen Untersuchungsbericht wegen der Verschmutzung durch PFAS (Per- und Polyfluoralkyl-Stoffe). Die finale Version datiert auf den 17. Juni 2017 ("NOE-Bericht"). Der NOE-Bericht basierte nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern stellt eine Zusammenfassung und Analyse vorheriger Untersuchungen dar. Im Laufe der Ermittlungen wurden im März bis Mai 2017 bestimmte Dokumente und Berichte beschlagnahmt, die nach Ansicht der Antragsgegnerinnen "Beweise" dafür liefern würden, dass Verantwortliche der C S.p.A. und auch die Antragstellerinnen von der Ursache der Verschmutzung gewusst hätten.
Im NOE-Bericht wird der Inhalt der Ergebnisse wie folgt zusammengefasst (deutsche Übersetzung):
"Aus den durchgeführten Untersuchungen geht hervor, dass C in den Jahren 1990, 1996, 2004, 2008 und 2009 Beratungsunternehmen, die im Umweltsektor führend sind, mit Untersuchungen beauftragt hat, die darauf abzielten, den Verschmutzungsgrad des Standorts zu bewerten und mögliche Lösungen für die Eindämmung der festgestellten Kontaminationen zu finden. C, die gesetzlich verpflichtet war, die zuständigen Stellen (Region, Provinz und Gemeinde) über die Feststellungen zu informieren, hat die oben genannten Untersuchungen bisher nicht weitergeleitet.
Kurz gesagt wurde von 1990 bis 2009 eine Verschmutzung des Bodens und des Grundwassers vor allem durch Verbindungen aus der Familie der Benzotrifluoride (BTF) festgestellt. Die Untätigkeit des Betreibers, die 1990 begann und bis heute anhält, hat dazu geführt, dass sich die Verschmutzung durch PFAS (und möglicherweise auch durch andere, nicht untersuchte Stoffe wie BTF) über Kilometer hinweg auf den Grundwasserspiegel ausgebreitet hat, was zu einer Verschlechterung der Umwelt und des Ökosystems sowie zu wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der ansässigen Bevölkerung geführt hat, die möglicherweise jahrelang unwissentlich kontaminiertes Wasser getrunken hat."
Am 12. April 2018 beantragten die Antragsgegnerinnen auf Grundlage der Schiedsklausel nach Art. 13.2 des Anteilskaufvertrags die Einleitung eines Schiedsverfahrens (Az. ICC 23550/GR).
In der Sache beantragten die Antragsgegnerinnen im Schiedsverfahren, die Nichtigkeit des Anteilskaufvertrags vom 19. Dezember 2008 sowie der Anteilsübertragung vom 5. Februar 2009 gemäß Art. 1439 des italienischen Zivilgesetzbuches wegen Arg...