Leitsatz (amtlich)

Keine Wiedereinsetzung bei unzureichender Büroorganisation bezüglich Fristeneintragung und unzulänglicher Überwachung von Hilfskräften

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Beschluss vom 28.10.2016; Aktenzeichen 2 O 400/15)

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 28.10.2016 wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 28.10.2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.138,02 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das Landgericht hat mit Urteil vom 28.10.2016 der Klage teilweise stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 3.11.2016 zugestellt worden. Mit der am 19.12.2016 eingelegten Berufung hat die Beklagte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Frist zur Einlegung der Berufung beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trägt die Beklagte vor, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten die Behandlung von Gerichtspost, die ein Urteil enthält, durch einen schriftlich niedergelegten Bearbeitungsstandard geregelt sei (Anlage WE1). Diesen Standard habe die langjährig bei der Prozessbevollmächtigten tätige, als zuverlässig bekannte Mitarbeiterin A, die für die Verarbeitung der eingehenden Post und die Notierung der Fristen jeweils in Abstimmung mit der Prozessbevollmächtigten zuständig gewesen sei, auch bei ihrer Tätigkeit beachtet. Neben Frau A sei seit XX.XX.2016 in der Kanzlei noch eine studentische Mitarbeiterin, Frau B, zur Einarbeitung tätig gewesen. Frau B sei vornehmlich mit dem Scannen und Verschlagworten der eingehenden Post, der Datenerfassung und Aktualisierung in den e-Akten sowie mit der Aktenablage befasst gewesen, jeweils nach Weisung.

Am 3.11.2016 habe eine Postbesprechung stattgefunden. Die Prozessbevollmächtigte habe das Empfangsbekenntnis bezüglich des Urteils vom 28.10.2016 unterzeichnet und die Monatsfrist sowie die Vorfrist mit Frau A besprochen. Das Urteil mit dem Begleitschreiben sei wieder in den Geschäftsgang gegeben worden. Die Fristenkontrolle erfolge regelmäßig entweder noch am selben Tag oder bei der ersten Wiedervorlage der Akte. Bei der Durchsicht der Frist- und Vorfristnotierungen am 19.12.2016 sei die Akte wieder in den Geschäftsgang gelangt. Es habe sich herausgestellt, dass das Urteil zwar eingescannt und das Empfangsbekenntnis unterschrieben und zurückgefaxt worden sei, im Übrigen aber offenbar schlicht zur Akte genommen und die Akte zurück ins Fach gelegt worden sei. Wie es dazu gekommen sei, habe nicht aufgeklärt werden können. Möglicherweise habe Frau B eine Anweisung von Frau A oder der Prozessbevollmächtigten verwechselt und den falschen Vorgang unbemerkt abgeheftet und weggelegt.

In der eidesstattlichen Versicherung vom 19.12.2016 bestätigt Frau A diesen Sachverhalt; ergänzend merkt Frau A an, dass sie am nächsten Tag frei gehabt habe, deshalb erst wieder in der nächsten Woche im Dienst gewesen sei und andernfalls den Irrtum vermutlich bemerkt hätte.

II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Frist zur Einlegung der Berufung war zurückzuweisen, weil die Beklagte nicht ohne Verschulden verhindert war, die am 5.12.2016 endende Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. Da die Berufung verspätet eingelegt ist, war sie gemäß § 522 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Eine Prozesspartei muss sich nicht nur eigenes Verschulden, sondern gemäß § 85 Abs. 2 ZPO auch das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Etwaiges Verschulden der Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten ist der Partei dagegen grundsätzlich nicht zuzurechnen; der Rechtsanwalt darf einfache Verrichtungen, die keine besondere Geistesarbeit oder juristische Schulung erfordern, einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Ein zurechenbares Eigenverschulden kann sich jedoch aus mangelhafter Büroorganisation, z.B. aus fehlenden klaren Anweisungen oder mangelnder Sorgfalt bei der Belehrung, Anweisung und Überwachung des Personals ergeben. Wiedereinsetzung kann nur gewährt werden, wenn auch ein solcher Organisationsmangel ausgeschlossen ist, wobei es zu Lasten der Partei geht, wenn die Ursache eines Büroversehens nicht aufgeklärt werden kann (BGH NJW 2011, 385).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. Bescheinigt der Rechtsanwalt den Emp...

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