Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Abwehrkosten aus der D&O-Versicherung im Rahmen einer Leistungsverfügung
Leitsatz (amtlich)
Dem Versicherer ist es versagt, sich auf einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung zu berufen, wenn er vorläufige Abwehrkosten bei wissentlicher oder vorsätzlicher Pflichtverletzung bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zugesagt hat, aus der sich Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen, und es an einer solchen Entscheidung fehlt.
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 07.05.2021; Aktenzeichen 2-08 O 130/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
In der Beschwerdesache ... wird auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 07.05.2021 abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird geboten, dem Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache (Landgericht Frankfurt am Main, Az. ...) bedingungsgemäßen Versicherungsschutz in dem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stadt2 (Az. ...), einschließlich Haftprüfungsverfahren und Vermögensarrestverfahren, zu gewähren.
Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird aus der Gebührenstufe bis zu 470.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt als versicherte Person im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung von Verteidigungskosten aus einer bei der Antragsgegnerin bestehenden D&O-Versicherung.
Der Antragsteller war seit 2005 bei der X AG angestellt, zuletzt als Prokurist und Director Accounting/Executive Vice President Accounting tätig und für die Leitung der Buchhaltung zuständig. Außerdem war er seit 2012 einer von vier Geschäftsführern der X2 GmbH, einem Tochterunternehmen der X AG, und dort für den Bereich Finanzen zuständig. Die X AG war ein international tätiger Zahlungsdienstleister mit Sitz in Stadt1. Seit September 2018 war das Unternehmen im Deutschen Aktienindex DAX gelistet.
Die X AG unterhielt als Versicherungsnehmerin bei der Antragsgegnerin seit 2002 eine D&O-Versicherung für Organmitglieder und leitende Angestellte. Maßgeblich für die vorliegend geltend gemachten Ansprüche ist der Versicherungsschein Nr. ... vom 11.03.2020, der für die Versicherungsperiode vom 01.01.2020 bis zum 01.01.2021 galt, nebst den zugrundeliegenden Bedingungen Z1 Stand 2015 (im Weiteren: Z) und den vereinbarten besonderen Bedingungen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Versicherungsvertrag sowie die Bedingungen Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin entschied jedes Jahr erneut über die Verlängerung der Versicherung anhand eines von ihr erstellten aktuellen International Risk Reports.
Einen wesentlichen Anteil an der Geschäftstätigkeit des X-Konzerns nahmen sogenannte Third-Party-Geschäfte (im Weiteren: TPA-Geschäfte) in Asien ein. Diese Geschäfte wurden nicht von der X AG selbst, sondern von drei Tochtergesellschaften - u.a. der X2 GmbH - abgewickelt.
Ein hieraus angeblich resultierendes Treuhandguthaben soll zuletzt im Jahr 2019 1,9 Milliarden Euro betragen haben und wurde unter dem Bilanzposten "Zahlungsmittel bzw. Zahlungsmitteläquivalente" ("cashflow" bzw. "cashflow-äquivalent") in den Jahresabschlüssen der X AG verbucht.
Das von der X AG seit Jahren mit der Abschlussprüfung beauftragte Wirtschaftsprüfungsunternehmen C erteilte bis einschließlich 2018 regelmäßig beanstandungslos und uneingeschränkt das Testat für die Konzern- und Jahresabschlüsse.
Ob es die TPA-Geschäfte in Asien und daraus resultierend das Treuhandguthaben von zuletzt 1,9 Milliarden Euro überhaupt nicht oder nicht im verbuchten Umfang gegeben hat, ist Gegenstand verschiedener Untersuchungen.
Nachdem die Wirtschaftsprüfer von C das Testat für den Jahresabschluss 2019 nicht erteilten, trat der Vorstandsvorsitzende der X AG A am 19.06.2020 von seiner Position als Vorstandsvorsitzender zurück und schied aus dem Vorstand aus. Mit Beschluss der X2 GmbH vom 21.06.2020 wurde der Antragsteller als Geschäftsführer abberufen und mit sofortiger Wirkung freigestellt.
Am 22.06.2020 veröffentlichte der Vorstand der X AG eine ad-hoc-Mitteilung, nach der die bisher zugunsten des Unternehmens ausgewiesenen Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestünden.
Gegen den Antragsteller sowie gegen weitere leitende Mitarbeiter der X AG - u. a. gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden A - wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Stadt2 (Az. ...) wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Untreue, der Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der X AG und der X2 GmbH geführt. Der Antragsteller befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Stadt2 vom 21.07.2020 seit dem 22.07.2020 in Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht Stadt2 hat den Haftbefehl...