Entscheidungsstichwort (Thema)
Paritätisches Wechselmodell
Leitsatz (amtlich)
1. Werden im Beschwerdeverfahren zum Umgangsrecht die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des bislang einvernehmlich gelebten paritätischen Wechselmodells verneint, ist im Rahmen des § 1684 Abs. 3 BGB unter Anwendung der zum Sorgerecht entwickelten Kindeswohlkriterien inzident (auch) zu klären, ob das Umgangsrecht der Mutter oder das des Vaters zu regeln ist.
2. Der Verweis auf die grundsätzliche Beachtlichkeit des Kindeswillens darf nicht dahingehend verstanden werden, dass dem Kind die Entscheidungskompetenz und -verantwortung übertragen wird, zumal ein bestehender Loyalitätskonflikt die Bedeutung des Kindeswillens im Einzelfall mindern kann.
Normenkette
BGB § 1684 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Langen (Beschluss vom 19.04.2021) |
Tenor
Das erstinstanzliche Aktenzeichen wurde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mitgeteilt.
I. Auf die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Langen (Hessen) vom 19.04.2021 wird der Beschluss abgeändert und wie folgt neu gefasst:
"Der Vater hat das Recht und die Pflicht mit den Kindern
A, geb. am XX.XX.2016,
B, geb. am XX.XX.2013,
wie folgt Umgang zu pflegen:
1. a) Im 14 tägigen Rhythmus von Freitag 15.00 Uhr bis Montag um 8.00 Uhr. Der erste Umgang nach diesem Rhythmus beginnt am 14.01.2022.
b) Im 14 tägigen Rhythmus von Mittwoch 15.00 Uhr bis Donnerstag 8.00 Uhr. Der erste Umgang nach diesem Rhythmus findet statt am 19.01.2022.
c) Der Vater holt die Kinder zu Beginn seines Umgangs in den Betreuungseinrichtungen des Kindergartens von A und der nachschulischen Betreuung von B ab und bringt sie zum Abschluss seines Umgangs in den Kindergarten bzw. die Schule der Kinder zurück.
d) Fällt ein Wochenendumgang wegen einer Erkrankung des Kindes aus, tritt anstelle des ausgefallenen Besuchskontakts das darauffolgende Wochenende. Der Umgangsturnus verschiebt sich hierdurch nicht.
2. a) In den geraden Kalenderjahren jeweils in der ersten Hälfte der hessischen Schulferien und zwar jeweils beginnend montags nach dem letzten Schultag um 10.00 Uhr und endend bei zweiwöchigen Ferien am darauffolgenden Sonntag, bei dreiwöchigen Ferien am übernächsten Mittwoch und bei den sechswöchigen Sommerferien am dritten Sonntag nach Beginn des Ferienumgangs, jeweils 17.00 Uhr, sowie
b) In den ungeraden Kalenderjahren jeweils in der zweiten Hälfte der hessischen Schulferien, beginnend bei zweiwöchigen Ferien jeweils am zweiten Montag nach dem letzten Schultag, 10.00 Uhr und endend am darauffolgenden Sonntag, 17.00 Uhr, bei dreiwöchigen Ferien beginnend am 2. Mittwoch nach dem letzten Schultag, 10.00 Uhr und endend am übernächsten Sonntag, 17.00 Uhr; in den Sommerferien beginnend am vierten Sonntag nach dem letzten Schultag, 10.00 Uhr und endend am Sonntag vor Schulbeginn, 17.00 Uhr.
c) In den geraden Jahren vom 24.12. 10.00 Uhr bis 25.12., 11.00 Uhr, am Ostersonntag 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr. In den ungeraden Jahren vom 25.12., 11.00 Uhr bis 26.12., 18.00 Uhr und am Ostermontag von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr.
d) Der Vater holt die Kinder ab. Die Mutter übergibt die Kinder dem Vater zum Beginn des jeweiligen Umgangs pünktlich am Wohnsitz der Mutter. Am Ende der jeweiligen Umgangszeit bringt der Vater die Kinder pünktlich zur Mutter zurück, die die Kinder entgegennimmt.
3. Beide Elternteile werden darauf hingewiesen, dass im Fall der Zuwiderhandlung gegen die sich aus diesem Beschluss ergebenden Verpflichtungen ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 25.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann.
II. Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den Eltern hälftig geteilt; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Mutter wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der C Rechtsanwälte, Stadt1 gewährt.
Gründe
I. Aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe der Eltern gingen die Kinder B, geb. am XX.XX.2013, und A, geb. am XX.XX.2016, hervor.
Anfang 2019 vollzogen die Eltern die Trennung innerhalb der ehelichen Immobilie. Im Februar 2019 kam es zu einem körperlichen Übergriff des Vaters gegenüber der Mutter. Am gleichen Tage sprach die Polizei ein Näherungsverbot gegen ihn aus. Nachfolgend verzog die Mutter in eine in unmittelbarer räumlicher Nähe der ehelichen Immobilie gelegene Wohnung. Die Eltern erzielten Einvernehmen über die Betreuung der Kinder, welche nachfolgend auch paritätisch erfolgte. Die Mutter wollte dieses Modell im Frühjahr 2020 nicht fortsetzen. Im Sommer 2020 nahmen die Eltern eine Beratung beim Kinderschutzbund wahr und trafen am 10.11.2020 eine Vereinbarung, in welcher die Betreuung der Kinder im Alltag paritätisch aufgeteilt wurde. Zugleich kamen sie überein, dass die hessischen Schulsommerferien hälftig aufgeteilt werden. Eine Regelung zur Betreuung der Kinder währ...