Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verlust des Ablehnungsrechts bei Verhandlung nach förmlichem Befangenheitsantrag
Leitsatz (amtlich)
§ 43 ZPO ist seinem Wortlaut entsprechend so auszulegen, dass eine Partei, die ein förmliches Ablehnungsgesuch gestellt hat, anschließend an einer nach § 47 Abs. 2 ZPO fortgesetzten mündlichen Verhandlung teilnehmen und in dieser Anträge stellen kann, ohne ihr Ablehnungsrecht zu verlieren.
Normenkette
ZPO §§ 42-43, 47 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 26.06.2015; Aktenzeichen 2-4 O 19/11) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des LG Frankfurt am Main vom 26.6.2015 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16.7.2015 (Az. 2-04 O 19/11) wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 3.521.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Kläger nehmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.
Das LG hat über etwaige Behandlungsfehler der Beklagten Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Anlässlich von dessen mündlicher Anhörung am 18.12.2013 haben die Beklagten erstmals Ultraschallaufnahmen vorgelegt, die nach ihrer Behauptung vom Körper der Klägerin zu 2) gemacht worden seien. Der Sachverständige hat daraufhin erklärt, dass diese Aufnahmen, sollten sie den Zustand der Klägerin zu 2) während deren Schwangerschaft darstellen, sein bisheriges Gutachten völlig hinfällig werden ließen.
Das LG hat in der Folgezeit am 16.7.2014 und am 3.6.2015 erneut mündlich verhandelt. Bei der letztgenannten Verhandlung ist die Anhörung des Sachverständigen unter Berücksichtigung der am 18.12.2013 beigebrachten Bilder fortgesetzt worden. Aus diesem Anlass sind die Abläufe der damaligen Sitzung erörtert worden. Dabei hat der Kammervorsitzende angesprochen, dass die Bilder vom Ablauf ungewöhnlich und außerordentlich spät erst nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens und fast durchgeführter Anhörung eingereicht worden seien und in diesem Zusammenhang die Worte gebraucht, dass die Aufnahmen "aus dem Hut gezaubert wurden".
Der Beklagtenvertreter hat daraufhin einen förmlichen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden gestellt.
Die mündliche Verhandlung ist gleichwohl nach Beratung unter Berufung auf § 47 Abs. 2 ZPO fortgesetzt worden. An deren Ende haben beide Parteivertreter streitig mit ihren bereits gestellten Anträgen zur Sache verhandelt.
Das LG hat den Ablehnungsantrag mit - am 16.7.2015 berichtigtem - Beschluss vom 26.6.2015 unter Verweis auf § 43 ZPO als unzulässig zurückgewiesen. Die Beklagten hätten in Kenntnis des Ablehnungsgrundes einen Antrag gestellt.
Gegen diese Entscheidung haben diese am 20.7.2015 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie halten die landgerichtliche Begründung für fehlerhaft und meinen, die Besorgnis der Befangenheit des Kammervorsitzenden liege angesichts der sprachlichen Bedeutung der gebrauchten Redewendung auf der Hand.
Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten ist, entgegen der Ansicht des LG, zwar zulässig aber nicht begründet.
Die Beklagten haben ihr Recht, den Vorsitzenden Richter der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, nicht verloren, weil sie nach förmlicher Stellung des Befangenheitsantrags am Ende der fortgesetzten mündlichen Verhandlung einen Klageabweisungsantrag gestellt haben.
Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Zweck von § 43 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Der Wortlaut der Vorschrift sieht einen Rechtsverlust also nur für den Fall vor, dass sich die Partei - anders als hier - zuerst auf eine Verhandlung einlässt oder Anträge stellt und sich erst hernach auf einen vermeintlichen Ablehnungsgrund beruft.
Eine Veranlassung, § 43 ZPO entgegen seinem Wortlaut auch auf Fälle wie den vorliegenden auszudehnen, ist nicht ersichtlich. Die in der Literatur vertretene Gegenansicht, auf die das LG sich beruft, (Münchener Kommentar zur ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 43 Rn. 7; Stein/Jonas/Bork, 22. Aufl., § 43 Rn. 4) verzichtet auf jegliche Begründung. Die zitierte BGH-Entscheidung (NJW 2006, 695) verhält sich zu dieser Frage nicht.
Eine solche Ausdehnung wäre widersinnig. Sie würde insbesondere das mit der Einführung von § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO verfolgte Ziel zunichtemachen. Die Vorschrift dient der Vermeidung einer Vertagung des Termins und soll damit missbräuchlichen Ablehnungsgesuchen vorbeugen, indem ein Verzögerungseffekt des Ablehnungsgesuchs vermieden wird (BTDrs 15/1508 S. 16). Dürften die Parteien, um ihr Ablehnungsrecht nicht zu verlieren, in einer nach § 47 Abs. 2 ZPO fortgesetzten Verhandlung keine Anträge mehr stellen, würde dadurch stets ein neuer ...