Leitsatz (amtlich)

Internationale Zuständigkeit des Familiengerichts

 

Verfahrensgang

AG Marburg (Beschluss vom 17.01.2019; Aktenzeichen 71 F 672/18)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Marburg - Familiengericht - vom 17.1.2019 aufgehoben und die Sache zur weiteren Prüfung des Verfahrenskostenhilfeantrages der Antragstellerin an das Familiengericht zurückverwiesen.

Dem Familiengericht wird aufgegeben, die beantragte Verfahrenskostenhilfe nicht mit der Begründung zu versagen, dass die internationale Zuständigkeit nicht gegeben sei, oder die Voraussetzungen des Art. 32 des Ehegesetzes der Volksrepublik China nicht vorgetragen seien.

 

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache zumindest insoweit Erfolg, als unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses das Verfahren zur weiteren Prüfung der Verfahrenskostenhilfe an das Familiengericht zurückzugeben ist.

Das Familiengericht hat die internationale Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Art. 3 der Verordnung (EG) Nummer 2201/2003 vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nummer 1347/2000 (EuEheVO II) verlangt zur Begründung der internationalen Zuständigkeit für einen Scheidungsantrag lediglich, dass im Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags der antragstellende Beteiligte seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit mindestens einem Jahr in Deutschland hatte.

Der gewöhnliche Aufenthalt ist der Ort, den der Betroffene als ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Absicht gewählt hat, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen, wobei für die Feststellung des ständigen Wohnsitzes alle hierfür tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 32. Aufl., Anh. II A, Art. 3 Rn. 15 mN aus der Rspr. des EuGH).

Auch im Falle eines abgelehnten Asylbewerbers können diese Voraussetzungen wegen dieser teils tatsächlichen, teils subjektiven Prägung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts erfüllt sein. Die Gefahr einer Abschiebung spielt lediglich im Rahmen der Würdigung aller tatsächlichen Gesichtspunkte eine Rolle und darf nicht ohne Berücksichtigung aller weiteren Aspekte dazu führen, den vom tatsächlichen Geschehen gedeckten Willen zur Begründung eines Lebensmittelpunktes als unbeachtlich zu behandeln. Aus der Entscheidung des OLG Koblenz vom 6.1.2016 - 13 WF 1/16 - folgt nichts Gegenteiliges.

Die Antragstellerin lebt nach dem für das hiesige Verfahren zugrunde zu legenden Vortrag bereits seit März 2016, also seit rund 3 Jahren in Deutschland. Seit Oktober 2017 lebt sie in einer sozialen und wirtschaftlichen Gemeinschaft mit ihrem Partner in dessen Wohnung in Stadt1. Eine Absicht, nach China zurückzukehren besteht nicht. Im Gegenteil strebt die Antragstellerin an, nach einer Ausbildung zur Altenpflegerin hier auf Dauer ihren Lebensunterhalt zu verdienen und - nach Durchführung des Scheidungsverfahrens - hier die Ehe mit ihrem Partner einzugehen. Der Ausbildungsvertrag ist bereits geschlossen. Der Ausbildungsbeginn steht unmittelbar bevor.

Zwar ist ihr Asylantrag im Mai 2018 abgelehnt worden, allerdings gab es seither ersichtlich keinerlei konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung getroffen worden. Die Antragstellerin wird damit zumindest faktisch seit fast einem Jahr geduldet und kann möglicherweise sogar mit einer förmlichen Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG rechnen.

Danach spricht nach den gesamten Umständen nichts dafür, dass der Aufenthalt hier nicht auf Dauer angelegt sein soll, und er dauert - wie Art. 3 EuEheVO II es fordert - bereits mehr als 1 Jahr an. Die Umstände des vorliegenden Falles unterscheiden sich damit auch in allen wesentlichen Punkten von der zitierten Entscheidung des OLG Koblenz.

Soweit das Familiengericht "höchst hilfsweise" die Erfolgsaussicht des Scheidungsantrags mit der Begründung verneint hat, es sei zu den Voraussetzungen des Art. 32 des Ehegesetzes der Volksrepublik China nichts vorgetragen, ist im Ausgangspunkt zutreffend, dass es nach Art. 8 der Rom-III-Verordnung - Verordnung (EG) 1259/2010 - auf diese chinesische Vorschrift ankommen wird. Allerdings hat das Familiengericht den Vortrag der Antragstellerin nicht vollständig gewürdigt. Nach dem Vortrag der Antragstellerin könnte nämlich insbesondere Absatz 3 Nummer 2 des Art. 32 in Betracht kommen, da nach den Angaben der Antragstellerin ihr chinesischer Ehemann häusliche Gewalt gegen die Antragstellerin ausgeübt hat. Überdies macht die Antragstellerin geltend, dass sie nicht zu ihrem chinesischen Ehemann zurückkehren möchte, insbesondere auch, dass eine Wiederherstellung des Ehelebens keinesfalls gewünscht ist. Dieser Zustand, in dem die Eheleute zugleich getrennt leben, dauert seit weit mehr als 2 Jahren an, so dass auch Art. 32 Abs. 3 Nummer 4 des chinesischen Ehegesetzes einschlägig sein dürfte. Mit dem dahingehenden Hinweis in...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge