Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vollstreckungsschutz gem. §§ 707, 719 ZPO wegen drohender unersetzlicher Nachteile, wenn Antrag nach § 712 ZPO versäumt
Leitsatz (amtlich)
Sofern ein Antrag gem. § 712 ZPO möglich und zumutbar ist, hat ein im Berufungsverfahren gestellter Antrag gem. §§ 707, 719 ZPO, der wiederum auf drohende unersetzliche Nachteile gestützt wird, keinen Erfolg.
Normenkette
ZPO §§ 707, 712, 714, 719
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/6 O 428/10) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. §§ 707, 719 ZPO wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beklagten beantragen, die Zwangsvollstreckung vorläufig ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung, vorläufig einzustellen gem. §§ 707, 719 ZPO. Zur Begründung führen sie aus, dass der Antrag zulässig sei, auch soweit erstinstanzlich kein Antrag i.S.d. § 712 ZPO gestellt wurde, da unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen für die Erfolgsaussicht der Einstellungsanträge zu prüfen seien. Eine Übertragung der im Rahmen von § 719 Abs. 2 ZPO ergangenen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit eines Schutzantrags im Fall einer zuvor unterlassenen Vorgehensweise gem. § 712 ZPO scheide aus.
Der Antrag sei auch begründet. Die Berufung sei nicht ohne Erfolgsaussicht. Im Fall einer zu Unrecht erfolgten vorläufigen Vollstreckung seitens der Klägerin wären sie, die Beklagten, mit nur äußerst schwierig darlegbaren und beweisbaren Schadensersatzersatzansprüchen gegen die Klägerin belastet. Die Vollstreckung sei ohne Sicherheitsleistung einzustellen, da eine Vollstreckung nicht nur zu ihrer Insolvenz führen würde, sondern damit auch der einzige nennenswerte Mitbewerber der Klägerin vom Markt verdrängt werden würde. Damit läge ein unersetzlicher Nachteil auch für die Allgemeinheit vor.
II. Der Antrag auf Vollstreckungsschutz gem. §§ 707, 719 ZPO ist unzulässig, da die Beklagten es versäumt haben, bereits erstinstanzlich einen Vollstreckungsschutzantrag i.S.d. § 712 ZPO unter Bezugnahme auf die auch hier maßgebliche Begründung zu stellen (vgl. OLG Koblenz, BeckRS 1998, 31148705; OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 486; Baumbauch/Lauterbach, 68. Aufl., ZPO, § 719 Rz. 4; Zöller/Vollkommer, 28. Aufl., ZPO, § 719 Rz. 7). Die Grundentscheidung über ein Zurücktreten der Vorrangigkeit des Vollstreckungsinteresses des Vollstreckungsgläubigers hat grundsätzlich in der Instanz zu erfolgen, die gem. §§ 708 ff ZPO allgemein über die Vollstreckbarkeit der Entscheidung befindet. Andernfalls würde entgegen den gesetzlichen Regelungen der §§ 708 ff ZPO die abschließende Entscheidung über die Vollstreckbarkeit eines Urteils in die nächste Instanz verlagert werden (vgl. BGH NJW 1986, 486). Die im Revisionsverfahren zu § 719 Abs. 2 ZPO ergangene Rechtsprechung des BGH, die ebenfalls davon ausgeht, dass ein Antrag nach §§ 707, 719 ZPO unzulässig ist, sofern im Berufungsverfahren kein Antrag nach § 712 ZPO gestellt wurde (BGH NJW-RR 2008, 1038 [1039]; BGH NJW-RR 2006, 1088; BGH NJW-RR 2000, 746), ist auf die Fallgestaltung eines versäumten erstinstanzlichen Antrags und dessen Auswirkungen auf das Berufungsverfahren wegen der gleichartigen Interessenlage übertragbar.
Soweit die Beklagten gegen diese Einschätzung einwenden, dass dem Antrag nach § 712 ZPO durch die Aufnahme der Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils andere Tatbestandsvoraussetzungen zugrunde liegen als einem nach pflichtgemäßen Ermessen zu bescheidenden Antrag nach §§ 707, 719 ZPO, führt dies hier nicht zu einer abweichenden Bewertung (vgl. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2010, 120 [121]; OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 702). Dabei kann offen bleiben, ob auch in den Fällen, in denen die Begründung des Antrags nach §§ 707, 719 ZPO nicht auf den Eintritt eines unersetzlichen Nachteils gestützt wird, der unterlassene Antrag i.S.d. § 712 ZPO dem Vorgehen nach §§ 707, 719 ZPO entgegensteht. Vorliegend jedenfalls stützen sich die Beklagten unter Rückgriff auf bereits seit Anhängigkeit des Verfahrens bekannte Umstände gerade auf die Gefahr unersetzlicher Nachteile. Somit wirken sich die teilweise abweichenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 712 ZPO einerseits und der §§ 707, 719 ZPO andererseits vorliegend nicht aus. Vielmehr wäre es den Beklagten möglich und zumutbar gewesen, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz unter Bezugnahme auf die nunmehrigen Ausführungen einen Antrag i.S.d. §§ 712, 714 ZPO zu stellen.
Der Umstand, dass der unterlassene Antrag gem. § 712 ZPO einem nunmehrigen Antrag gem. §§ 707, 719 ZPO entgegensteht, führt auch nicht zur unzulässigen Aufnahme eines - dem Gesetzeswortlaut der §§ 707, 719 ZPO nicht zu entnehmenden - Tatbestandsmerkmals (so OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 702). Vielmehr ergibt er sich aus der Gesetzessystematik der §§ 708ff ZPO, welche Entscheidungen über ein Zurücktreten der Vorrangigkeit des Interesses des Vollstreckungsgläubigers der Instanz zuweist, welche die zu vollstreckende Entscheidung erlässt.
Eine Kostenentscheidung ...