Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Streitwertneutralität von entgangenem Gewinn als selbständiger Schadensposition
Leitsatz (amtlich)
Verlangt ein Kläger als Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung neben der Rückzahlung des Anlagebetrages den ihm durch die unterlassene anderweitige Anlage des Geldbetrages entgangenen Gewinn, so handelt es sich dabei um eine selbständige Schadensposition und damit nicht um eine Nebenforderung i.S.v. § 43 Abs. 1 GKG (Abweichung von BGH NJW 2012, 2446 und BGH NJW 2013, 3100).
Normenkette
GKG § 43 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.05.2013; Aktenzeichen 2-13 O 99/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des Drittwiderbeklagten wird der Beschluss des LG Frankfurt, 13. Zivilkammer, vom 14.5.2013 abgeändert:
Der Gebührenstreitwert wird auf 92.748,90 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin hat mit der Klage von der Beklagten Schadensersatz wegen Schlechterfüllung eines Anlageberatungsvertrages verlangt, aufgrund dessen sie und ihr Ehemann eine Beteiligung an einem Immobilienfonds mit Sparplan gezeichnet haben. Die Klageforderung setzte sich aus einem Anspruch auf Rückzahlung des Anlagebetrages i.H.v. 24.542,01 EUR und einem Anspruch auf "entgangenen Gewinn" in Höhe 30.475,82 EUR zusammen. Letzterer ist damit begründet worden, dass die Klägerin und ihr Ehemann bei zutreffender Beratung ihre bestehenden Sparpläne nicht zugunsten des Anlagebetrages aufgelöst und dann die bei den Sparplänen vereinbarten Zinsen von 6,8 % weiter erhalten hätten. Die Klägerin hat darüber hinaus die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von sämtlichen gegen sie bestehenden oder künftig entstehenden steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen aus der Anlage beantragt.
Mit einer Drittwiderklage gegen den Ehemann der Klägerin hat die Beklagte ihn auf Feststellung in Anspruch genommen, dass ihm keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen.
Nach Erhebung der Einrede der Verjährung hat die Klägerin die Klage zurückgenommen und der Drittwiderbeklagte die Widerklage anerkannt.
Das LG hat mit Beschluss vom 14.5.2013 den Streitwert auf 62.273,08 EUR festgesetzt. Davon entfallen 24.542,01 EUR auf die Rückzahlung des Anlagebetrages und 37.731,07 EUR auf den Freistellungsantrag (Berechnung Klageschrift S. 63). Die Einbeziehung des "entgangenen Gewinns" von 30.475,82 EUR hat das LG abgelehnt, weil es sich dabei um eine Nebenforderung i.S.v. § 43 Abs. 1 GKG handele.
Hiergegen haben sowohl die Klägervertreter als auch die Beklagtenvertreter Beschwerde mit dem Begehren eingelegt, den Streitwert auf 92.748,90 EUR festzusetzen.
Das LG hat beiden Beschwerden nicht abgeholfen.
Die Beklagtenvertreter haben die Beschwerde nach Bekanntwerden der Entscheidung des 3. Zivilsenats des BGH vom 27.6.2013 (III ZR 143/12) zurückgenommen.
II. Die nach § 68 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG zulässige Beschwerde ist in der Sache auch begründet.
In die Bildung des Streitwertes ist entgegen der Meinung des LG auch der "entgangene Gewinn" i.H.v. 30.475,82 EUR einzubeziehen. Es handelt sich bei diesem Anspruch nicht um eine Nebenforderung i.S.v. § 43 Abs. 1 und 2 GKG.
Der Senat vermag der gegenteiligen, vom 11. und vom 3. Zivilsenat des BGH (Beschlüsse v. 8.5.2012 - XI ZR 261/10, NJW 2012, 2446; v. 27.6.2013 - III ZR 143/12, WM 2013, 1504) vertretenen Rechtsauffassung nicht zu folgen (etwa auch KG, Beschl. v. 1.2.2013 - 7 U 133/12 und schon OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.6.2010 - 1 W 30/10). Diese Meinung verkennt den Begriff und den Rechtscharakter einer "Nebenforderung". Ein in Zinsen ausgedrückter Anspruch ist nach § 43 Abs. 1 GKG nur dann nicht in den Streitwert einzurechnen, wenn er "als Nebenforderung" geltend gemacht wird. Selbst wenn die Forderung, was hier nicht der Fall ist, wie Zinsen als gleich bleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe geltend gemacht würde, wäre dies nicht hinreichend, um sie als Nebenforderung zu kennzeichnen.
Eine Nebenforderung ist nach herkömmlicher und bis zu den oben genannten Entscheidungen des BGH gefestigter Rechtsauffassung nur dann gegeben, wenn die Forderung in rechtlicher Abhängigkeit zu einem gleichzeitig geltend gemachten Hauptanspruch entsteht (BGH MDR 1976, 649; BGH NJW 1998, 2060; Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 2. Aufl., § 43 Rz. 1; ähnlich Hartmann, Kostengesetze, 9. Aufl., § 43 GKG Rz. 3). Zur Hauptforderung muss die Nebenforderung in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sie muss von ihr sachlich-rechtlich abhängen. Sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht - auch im Hinblick auf ihre Entstehung - gleichrangig, so ist keine von ihnen Nebenforderung (BGH MDR 1998, 852). Dabei kommt es auf dasjenige materielle Recht an, das für den jeweiligen Streitgegenstand maßgeblich ist (BGH MDR 1998, 852). Dabei bezieht sich die Abhängigkeit der Nebenforderung von der Hauptforderung allein auf den Entstehungstatbestand. Nach der Entstehung können beide Forderungen ein anderes rechtliches Schicksal haben.
Allein dieses he...