Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsunfähigkeit bei Aphasie
Leitsatz (amtlich)
Wer an globaler Aphasie leidet und Sprache weder aktiv noch passiv gebrauchen kann, ist schon allein aus diesem Grund als geschäftsunfähig anzusehen, auch wenn sonst keine kognitiven Beeinträchtigungen bestehen.
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, § 131 Abs. 1, §§ 2270, 2271 Abs. 1
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 1 hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten zu 2 tragen.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 185.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 1, 3, 4 und 5 sind die Kinder des am XX.06.2019 verstorbenen Herrn A (im Folgenden: Erblasser) und seiner ersten Ehefrau. Der Erblasser und seine erste Ehefrau errichteten am 20.11.1992 ein gemeinschaftliches notarielles Testament (UR-Nr. ... des Notars B in Stadt1; Bl. 47 ff. d.A.), in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und die Beteiligten zu 1, 3, 4 und 5 zu Erben des Letztversterbenden bestimmten. Die Ehe wurde 1997 geschieden.
Die Beteiligte zu 2 stammt aus einer deutschsprachigen Familie in Oberschlesien. Nach dem Krieg wurde sie nicht vertrieben, sondern blieb in Polen und siedelte erst später in die Bundesrepublik Deutschland über.
Im Jahr 1997 erwarb der Erblasser gemeinsam mit der Beteiligten zu 2 eine Wohnung in der Straße1 in Stadt2, deren hälftige Miteigentümer beide wurden. Ein Jahr später heiratete der Erblasser, damals 6X Jahre alt, die Beteiligte zu 2, damals 5Y Jahre alt.
Am 25.01.2004 errichteten der Erblasser und die Beteiligte zu 2 ein durch den Erblasser eigenhändig geschriebenes und von beiden Ehegatten unterzeichnetes "Gemeinschaftliches Testament" (Bl. 62 d.A.). Darin setzen sie sich gegenseitig zu "Alleinerben (Vollerben)" ein. Erben des Längstlebenden sollen die Beteiligten zu 1, 3, 4 und 5 zu insgesamt 2/3 und die Tochter der Beteiligten zu 2 aus deren erster Ehe zu 1/3 sein.
Die Beteiligte zu 2 erlitt am 20.11.2009 einen Schlaganfall, als dessen Folge sie an Aphasie leidet, einer Sprachstörung durch Beeinträchtigung der Sprachproduktion und des Sprachverständnisses im Zentralen Nervensystem. Bei der Beteiligten zu 2 liegt die schwerste Form der Aphasie vor, eine globale Aphasie, bei der nur spärliche oder gar keine Sprachproduktion vorhanden ist und Sprachverständnis und Lesen stark gestört sind. Solche Patienten können unter Umständen noch Worte von sich geben, aber es handelt sich dann um sinnlose Wiederholungen, Floskeln und Redewendungen.
Das Amtsgericht Stadt3 bestellte aufgrund der Aphasie den Erblasser zum Betreuer der Beteiligten zu 2. Auf Betreiben der Tochter der Beteiligten zu 2 wurde der Erblasser mit Beschluss des Amtsgerichts Stadt3 vom 22.06.2016 (...; Bl. 19 f. d.A.) als Betreuer entlassen, da ihm die Betreuung nicht mehr zuzumuten sei, und die Tochter der Beteiligten zu 2 als Betreuerin eingesetzt. Aufgabenkreise waren "Sorge für die Gesundheit", "Aufenthaltsbestimmung", "Entgegennahme, Öffnen der Post" und "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen".
Das Barvermögen des Erblassers und der Beteiligten zu 2 auf ihren als "Oder-Konten" geführten Konten belief sich Anfang 2019 auf etwa 180.000 EUR. Am 25.01.2019 überwies die Beteiligte zu 2 einen Betrag von 90.000 EUR von einem gemeinsamen Konto auf ein eigenes Konto.
Am 16.05.2019 erklärte der Erblasser, der sich zu dieser Zeit wegen seiner schon seit längerem bestehenden schweren Herzerkrankung im Krankenhaus befand, in notarieller Urkunde (UR-Nr. ... der Notarin C in Stadt3; Bl. 87 ff. d.A.) den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments und beauftragte die Notarin, eine Ausfertigung des Widerrufs der Beteiligten zu 2 förmlich per Gerichtsvollzieher zustellen zu lassen. Die Urkunde wurde zweisprachig errichtet, in deutscher und polnischer Sprache. Dazu heißt es in der Urkunde:
Nach Angaben des Erschienenen [gemeint: der Erblasser] ist dessen Ehefrau der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, sondern spricht polnisch. Der Text dieser Urkunde soll daher auf Ansuchen des Erschienenen schriftlich in die polnische Sprache übersetzt werden.
In der Urkunde gab der Erblasser den Wert seines Vermögens mit "ca." 185.000 EUR an und den Wert des Vermögens der Beteiligten zu 2 mit "ca." 20.000 EUR.
Gemäß Zustellungsurkunde der Gerichtsvollzieherin wurde eine beglaubigte Abschrift der Urkunde am 24.05.2019 durch Einlegung in den Briefkasten "oder in eine sichere, vom Adressaten für den Postempfang eingerichtete Vorrichtung" an die Beteiligte zu 2 in der Straße1 zugestellt (Bl. 93 d.A.). Der Erblasser, der dort mit der Beteiligten zu 2 lebte, befand sich an diesem Tag noch immer im Krankenhaus.
Der Erblasser wurde am 28.05.2019 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, aber bereits zwei Tage später mit schweren Herzproblemen wieder stationär aufgenommen.
Es existiert ein handschriftlich...