Leitsatz (amtlich)

Die Werbeaussage "Als X Stromkunde beziehen Sie 100 % atomstromfreie Energie" ist objektiv unrichtig und verstößt gegen das Verbot irreführender Werbung.

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3-6 O 28/08)

 

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber bei der Belieferung von u. a. Endverbrauchern mit Strom. Die Verfügungsklägerin (nachfolgend Klägerin) greift mehrere Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten (nachfolgend: Beklagte) an und nimmt diese im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beklagte hat in Werbemitteln, so auf ihrer Webpage und in einer konkreten Anzeige, mit den Formulierungen

"100% Ökostrom"

"0% Atomstrom"

"als X Stromkunde beziehen sie 100% atomstromfreie Energie"

- wie aus den Anlagen AS 3 - 5 ersichtlich - geworben (GA 20 - 33).

Die Klägerin hält diese Aussagen für irreführend im Sinne von § 5 UWG, weil diejenigen Abnehmer, die sich für den sogenannten "Ökostrom"- Tarif der Beklagten entscheiden, denselben Strom beziehen, wie sonstige Abnehmer.

Die Adressaten der Werbung bekämen den unrichtigen Eindruck vermittelt, dass die Beklagte ihren Kunden tatsächlich atomstromfreien und/oder ökologisch erzeugten Strom liefere und nicht nur - wie tatsächlich - diesen in den allgemeinen Strommix einspeise. Den Abnehmern werde verschleiert, dass bei einem Wechsel zu dem "Ökotarif" allenfalls mittelbar ein Beitrag zu Förderung umweltschonender Energiegewinnung geleistet werde.

Mit Beschluss vom 17.04.2008 hat das Landgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt (soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse), sinngemäß oder wörtlich mit der Aussage "100% Ökostrom" und/oder "0% Atomstrom" und/oder "als X Stromkunde beziehen sie 100% atomstromfreie Energie" zu werben, insbesondere wie in den Anlagen AS3, AS4 und AS5 zu diesem Antrag ersichtlich geschehen.

Auf den Widerspruch der Beklagten hat es die einstweilige Verfügung mit dem angefochtenen Urteil bestätigt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die meint, eine Irreführung im Sinne der §§ 3, 5 UWG liege nicht vor. Zu Unrecht habe das Landgericht angenommen, dass durch die beanstandete Werbung bei den angesprochenen Verbrauchern der Eindruck entstehe, er konkret erhalte von der Beklagten tatsächlich Strom, der kein Atomstrom sei und auch nicht unter Verwendung fossiler Energieträger erzeugt würde.

Der Anteil der Verbraucher, bei denen aufgrund der Werbeaussage tatsächlich eine solche Fehlvorstellung erzeugt werde, bewege sich allenfalls im Promillebereich und sei auf Einzelfälle beschränkt. Denn der Großteil der befassten Verbraucher sei sich darüber im Klaren, dass Ökostrom (nur) in schuldrechtlicher und nicht in physischer Hinsicht geliefert werde. Kein Verbraucher werde ernsthaft der Vorstellung unterliegen, dass, wenn er sich für eine andere Stromzusammensetzung entscheide, vor seinem Haus eine gesonderte Stromleitung verlegt werde.

Informationsangebote und Kenntnisstand des Verbrauchers hinsichtlich umweltfreundlicher Energieversorgung seien in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Hinzu komme, dass jeder Stromversorger seit 2005 gemäß § 42 EnWG zur Stromkennzeichnungsangabe verpflichtet sei. In sämtlichen einschlägigen Verbraucherportalen werde der Verbraucher auch konkret darüber informiert, dass der Ökostrom nicht per seperater Leitung zum Kunden transportiert werde.

Diejenigen Verbraucher, denen nicht geläufig sei, dass Ökostrom über das Gesamtstromnetz eingespeist werde, könnten hierüber nicht irregeführt werden, weil sie sich tatsächlich keine Vorstellung darüber machten oder machen müssten, ob und wie ihnen der beworbene Ökostrom geliefert werde.

Selbst wenn man von einem ausreichenden Quorum ausginge, sei eine entsprechende Fehlvorstellung nicht relevant im Sinne der §§ 3, 5 UWG, weil die Fehlvorstellung nicht geeignet wäre, die Kaufentscheidung eines erheblichen Teils des Publikums zu beeinflussen. Dem maßgeblichen Durchschnittsverbraucher komme es bei seiner Kaufentscheidung lediglich darauf an, die Umwelt vor den Gefahren zu bewahren, welche durch die Erzeugung von Atomkraft, insbesondere dem dabei entstehenden radioaktivem Abfall entstehen. Diese Gefahren könne der Verbraucher unabhängig davon, ob er tatsächlich physischen Strom oder schuldrechtlichen Strom geliefert bekomme, allein und nur durch seine abstrakte Entscheidung für oder gegen die Lieferung von Ökostrom beeinflussen.

Mithin spiele die Frage, ob der schuldrechtliche Strom zu 100% atomstromfrei sei bzw. zu 100% aus Ökostrom bestehe oder ob der physisch gelieferte Strom diese Werte aufweise, bei der Kaufentscheidung keine Rolle.

Das Untersagungsgebot hindere die Beklagte an der Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 42 EnWG. Ganz offensichtlich sei der Gesetzgeber in § 42 EnWG davon ausgegangen, dass Energieversorger gegenüber dem Kunden den Energieträgermix der schuldrechtlichen Stromlieferung angeben müssen. Ansonsten würde die Vorschrift keine...

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