Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigte Preiserhöhung eines Gasversorgers durch ergänzende Vertragsauslegung

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 16.05.2017; Aktenzeichen 8 O 95/09)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 13.04.2021; Aktenzeichen VIII ZR 277/19)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 16.5.2017 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Gießen (AZ. 8 O 95/09) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin berechtigt war, im Zeitraum 2005 bis 2010 Gaspreisänderungen vorzunehmen.

Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH, deren 100%ige Gesellschafterin die Stadt1 ist. Der Beklagte entnahm seit 1991 Gas aus dem Leitungsnetz der Klägerin. Ein schriftlicher Vertrag wurde zwischen den Parteien nicht geschlossen. Die Klägerin veröffentlichte die jeweils geänderten Preise in der Lokalpresse. Ab 1995 wurden die Tarifbezeichnungen geändert, seit 1.1.2002 wurden die Tarife in "Heizung 1", "Heizung 2" und "Heizung drei" umbenannt. Die Klägerin belieferte den Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum nach dem Tarif "Heizung 2" und nahm zehn Preisänderungen vor, wobei in drei Fällen der Gaspreis gesenkt wurde. Unstreitig kündigte die Klägerin dem Beklagten mit dem als Anlage WK2 vorgelegten Schreiben unter dem Datum "im November 2007" an, dass es wegen der Verknappung des Angebots und des steigenden Energiebedarfs zu einer Preiserhöhung zum 1.1.2008 kommen werde. Ob vergleichbare briefliche Ankündigungen sämtlicher streitgegenständlicher Preisänderungen ab dem 8.11.2006 gegenüber dem Beklagten erfolgten, ist streitig. Mit Schreiben vom 17.5.2010 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis mit Wirkung zum 30.6.2010.

Der Beklagte widersprach den Preisänderungen erstmals mit Schreiben vom 21.12.2004. Er zahlte im Folgenden auf die Entgeltabrechnungen der Klägerin Teilbeträge auf der Grundlage eines Arbeitspreises von 3,36Ct/kWh, den die Klägerin im Zeitraum 1.10.2004 bis 21.12.2004 zugrunde gelegt hatte.

Die Klägerin macht mit der Klage die Differenz zwischen den von ihr geforderten Gaspreisen und den vom Beklagten gezahlten Beträgen für den Zeitraum vom 1.3.2005 bis 30.6.2010 geltend. Sie meint, sie sei zur Vornahme der Preiserhöhungen berechtigt gewesen. Zwischen den Parteien habe durch die Entnahme des Gases aus dem Leistungsnetz der Klägerin ein Versorgungsvertrag in Gestalt eines Grundversorgungsverhältnisses/ Tarifkundenvertrags iSv § 36 EnWG bestanden. Sie behauptet, sie habe im relevanten Zeitraum ausschließlich gestiegene Bezugskosten an die Verbraucher weitergegeben, was durch die von ihr vorgelegten externen und internen Gutachten belegt werde. Hierzu sei sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls auf der Grundlage der ergänzenden Vertragsauslegung berechtigt gewesen.

Der Beklagte meint, aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers ergebe sich, dass die Klägerin mit ihm keine Tarife der Grundversorgung, sondern einen Sondertarif vereinbart habe, so dass zwischen den Parteien ein Sondervertragsverhältnis nach § 41 EnWG aF bestanden habe. Mangels einer ausdrücklichen Vereinbarung habe der Klägerin daher kein Recht zur Preiserhöhung zugestanden. Die Preiserhöhungen seien zudem unbillig und er bestreite, dass lediglich Bezugskosten weitergegeben worden seien. Auch die vorgelegten Gutachten legten die Grundlagen der Preisänderungen nicht transparent dar.

Er hat widerklagend im Wesentlichen die Feststellung begehrt, dass der Klägerin weitere Zahlungsansprüche nicht zustehen, der Vertrag zu den ursprünglichen Bedingungen fortbesteht und von der Klägerin nicht wirksam zum 30.6.2010 gekündigt werden konnte und ihm Rückforderungsansprüche zustehen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der weiteren Feststellungen und erstinstanzlichen Anträge gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, nach Zeugenvernehmung den Beklagten antragsgemäß verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Zwischen den Parteien sei aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers ein Versorgungsverhältnis im Rahmen der Grundversorgung zustande gekommen. Dies gelte, auch wenn die Klägerin verschiedene Tarife zugrunde lege, da dies einem Energieversorgungsunternehmen auch im Rahmen der Grundversorgung freistehe. Das Tarifkundenverhältnis sei auch nicht in ein Sonderkundenverhältnis umgewandelt worden, da eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung der Klägerin oder des Beklagten hierfür nicht vorgetragen worden sei.

Die Klägeri...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge