Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Automobilhersteller das In-Kraft-Treten der EG-GVO Nr. 1400/2002 zum Anlass genommen, Vertragshändlerverträge zu kündigen und einem Teil der bisherigen Vertragshändler neue Verträge über den Vertrieb von Neuwagen anzubieten, die nicht nur der Anpassung an die neue GVO, sondern auch der Umsetzung eines neuen Vertriebssystems, u.a. mit neuen Vorschriften über Margen, Boni und Prämien, über die verbindliche Vorgabe neuer Standards und über neue Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten, dienen, so geht einem Vertragshändler, der das neue Vertragsangebot nicht annimmt, nicht in analoger Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB der Ausgleichsanspruch verloren.

2. Über diesen Ausgleichsanspruch kann durch Grundurteil gem. § 304 ZPO entschieden werden.

3. Der Hersteller ist in diesem Fall verpflichtet, nach dem Händlervertrag rückgabefähige Ersatzteile auch dann zurückzunehmen, wenn mit dem bisherigen Vertragshändler ein neuer Service-Partner-Vertrag abgeschlossen, der bisherige Ersatzteilbestand für den Service-Betrieb aber nicht benötigt wird. Ein Ausgleichsanspruch für das Ersatzteilgeschäft ist auch im Falle eines Großhandels nicht gegeben.

 

Normenkette

HGB § 89b Abs. 3 S. 1; ZPO § 304

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 13.01.2005; Aktenzeichen 3/10 O 188/03)

 

Tenor

Die Berufungen der Klägerinnen und der Beklagten gegen das am 13.1.2005 verkündete Grund- und Teilurteil der 10. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt/M. - 3/10 O 188/03 - werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerinnen 28 % und hat die Beklagte 72 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung der Klägerin zu 1) durch Sicherheitsleistung i.H.v. 25.000 EUR und die Vollstreckung der Klägerin zu 2) durch Sicherheitsleistung i.H.v. 475.000 EUR abwenden, sofern nicht die vollstreckende Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet. Jede Klägerin darf die vorläufige Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 2.100 EUR abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 1.813.881,74 EUR (Berufung der Klägerin zu 1): 366.847,73 EUR, Berufung der Klägerin zu 2): 147.527,50 EUR, Berufung der Beklagten: 1.299.506,51 EUR).

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerinnen, Tochtergesellschaften einer Automobilforum A. GmbH O1, waren auf Grund gleichlautender Händlerverträge vom 16.12.96/22.3.97 (Anlage K 1, Anlagenordner) Vertragshändler für Vertrieb und Service von Fahrzeugen und Ersatzteilen der Beklagten. Bestandteil der Händlerverträge waren gem. Art. 8.1 die "Zusatzbestimmungen zum Händlervertrag für Vertrieb und Service" (ebenfalls Anlage K 1, Anlagenordner), in deren Art. 6 "Vertragsende" die Beendigung des Vertrages und Art. 7 "Unterstützung nach Vertragsbeendigung" die Rücknahme nicht verkaufter Gegenstände nach Vertragsbeendigung geregelt sind. Die Beklagte kündigte die Händlerverträge mit gleichlautenden Schreiben vom 20.3.2002 zum 30.9.2003 und erklärte darin ihre Absicht, im Frühjahr 2003 ein neues Vertragsangebot für die Zeit ab 1.10.2003 zu unterbreiten (Anlage K 2). Am 30.9.2003 legte die Beklagte den Klägerinnen die Endfassung neuer Händlerverträge vor (Anlage K 3) und forderte zur unverzüglichen Unterzeichnung auf. Die Verträge kamen nicht zustande. Statt dessen schlossen die Klägerinnen mit der Beklagten gleichlautende Service-Partner-Verträge.

Mit der Klage verlangten die Klägerinnen für die Klägerin zu 1)

1. einen Vertragshändlerausgleich (Teilbetrag) i.H.v. 1 Mio. EUR (700.00 EUR Neuwagengeschäft, 300.000 EUR Ersatzteilgeschäft),

2. weitere 66.847,73 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von drei Pkw,

3. weitere 18.535 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von Ersatzteilen und für die Klägerin zu 2)

4. einen Vertragshändlerausgleich (Teilbetrag) i.H.v. 300.000 EUR (200.000 EUR Neuwagengeschäft, 100.000 EUR Ersatzteilgeschäft),

5. weitere 47.527,15 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von drei Pkw sowie

6. weitere 380.971,51 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe von Ersatzteilen.

Durch Grund- und Teilurteil hat das LG die Ansprüche der Klägerinnen zu Ziff. 1. und 4. hinsichtlich des Neuwagengeschäfts für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt, den jeweiligen Klageanträgen zu 3. und 6. stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Hinsichtlich des Neuwagengeschäfts stehe den Klägerinnen ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 89b HGB dem Grunde nach zu. Darin, dass die Klägerinnen den Fortsetzungsvertrag ab 1.10.2003 nicht unterzeichneten, könne kein einer Eigenkündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB vergleichbarer Fall gesehen werden, da die am 30.9.20003 vorgelegten Vertragsentwürfe ggü. den gekündigten Verträgen erhebliche Verschlechterungen für die Klägerinnen enthielten, die nicht nur durch die Anpassung an die zum 1.10.2002 in Kraft getretene EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) Nr. 1400/2002 für den Kraftfahrzeugsektor, sondern...

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