Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung des § 106 Abs. 3 SGB VII ist so konzipiert, dass sie auf die §§ 104 und 105 SGB VII verweist, wenn die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB VII vorliegen, wenn nämlich Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten.
2. Bei § 106 Abs. 3 SGB VII handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung. Nur wenn seine Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, sollen der Unternehmer (§ 104 SGB VII) und andere für den Betrieb tätige Personen (§ 105 SGB VII) von der Haftung freigestellt sein.
Normenkette
SGB VII §§ 104-106
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Aktenzeichen 2 O 37/04) |
Nachgehend
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten aufgrund eines Unfalls vom 6.4.2001 auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Der Kläger führte im Auftrag der X auf der BAB ..., Brücke ..., Abbrucharbeiten durch. Die Beklagte zu 2) war mit Stemmarbeiten beauftragt Am 6.4.2001 rangierte der Bekl. zu 1) mit einem Bagger der Beklagten zu 2), welcher nicht über ein Warnsignal "Rückwärtsbetrieb" verfügte, auf der Brücke und fuhr bis zu 20m rückwärts und dabei dem - die Arbeiten seiner Leute kontrollierenden - Kläger über den rechten Fuß. Dieser sowie der Unterschenkel wurden gequetscht, es gab schwere knöcherne Verletzungen. Der Kläger musste sich mehreren Operationen unterziehen, und es verblieben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Dauerfolgen in Form einer Gangbehinderung sowie funktionale Einschränkung am Fuß- und Sprunggelenk, eine dauerhafte Fußdeformität und chronisch Schwellungen (MdE 30 %). Der Kläger geht seiner Berufstätigkeit nicht wieder nach; er bezieht Leistungen von seiner privaten Unfallversicherung.
Die Bauberufsgenossenschaft lehnte Leistungen aus der Unfallversicherung durch Bescheid vom 22.12.2004 ab, da der Kläger als Unternehmer eine freiwillige Versicherung nicht abgeschlossen habe. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Bescheid vom 1.3.2005 zurückgewiesen.
Über das Vermögen der Beklagten zu 2) ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1) auf Schmerzensgeld von wenigstens 20.000 EUR, materiellen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Er wirft dem Beklagten zu 1) grob fahrlässiges Verhalten vor, weil er keine dritte Person zur Absicherung der Rückwärtsfahrt hinzugezogen habe.
Der Beklagte zu 1) hat behauptet, der Kläger sei nicht unmittelbar vom Bagger überfahren worden, sondern zunächst wegen einer Herz-Kreislaufschwäche zusammengesackt. Er müsse sich ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er hinter dem Bagger gearbeitet habe. Vor allen Dingen hafte der Beklagte aber nicht wegen der Haftungsprivilegierung des § 104 ff. SGB VII.
Das LG hat den Beklagten zu 1) zur Zahlung von 15.000 EUR Schmerzensgeld, 124,60 EUR Schadensersatz verurteilt und die begehrte Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden ausgesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 1) seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO und § 35 der Unfallverhütungsvorschrift nicht beachtet habe. Der Beklagte zu 1) könne sich auch nicht auf eine Haftungsprivilegierung gem. § 106 Abs. 3 i.V.m. §§ 104/105 SGB VII berufen. Zwar hätten der Kläger und der Beklagte vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte vorgenommen; der Kläger sei jedoch nicht Versicherter i.S.v. § 106 Abs. 3 SGB VII. Zwar vertrete das LSozG Stuttgart die Auffassung, dass die Verweisung auf §§ 104,105 auch die Einbeziehung des Unternehmers regele, weshalb sowohl der Versicherte als auch der nicht versicherte Unternehmer als Schädiger oder Geschädigter in die Haftungsbeschränkung einbezogen seien. Dieser Auffassung könne sich das LG aber nicht anschließen. § 106 Abs. 3 SGB VII setze voraus, dass Versicherte mehrerer Unternehmen betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Dazu gehöre auch der mitarbeitende Unternehmer, falls er in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung rügt der Beklagte, dass das LG nicht von einer Haftungsprivilegierung ausgegangen sei, ein Mitverschulden nicht berücksichtigt und das Schmerzensgeld zu hoch bemessen habe. § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII gelte auch für den Unternehmer, der selbst auf der Baustelle arbeite. § 106 Abs. 3 verweise auf §§ 104 und 105 SGB VII und zwar ohne Ausnahme. § 105 Abs. 2, der die Haftungsprivilegierung enthalte, sei damit nicht ausgeschlossen, da ansonsten die Verweisung auf die §§ 104 und 105 SGB VII eingeschränkt hätte erfolgen müssen. Sinn und Zweck des § 106 Abs. 3 sprächen dafür, dass auch der nicht versicherte Unternehmer als Geschädigter in den Unfallversicherungsschutz mit einbezogen werde, wenn er wie ein Beschäftigter auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig ist. Er sei dann gena...