Leitsatz (amtlich)
1. Zahlungsansprüche auf erstes Anfordern können Gegenstand eines Insolvenzfeststellungsverfahrens nach §§ 179 ff. InsO sein.
2. Wird eine Garantie/Bürgschaft auf erstes Anfordern mit einer sog. Effektivklausel verbunden, reicht es zur Geltendmachung des Anspruches aus, wenn der Gläubiger die Vorraussetzungen einer Inanspruchnahme schlüssig darlegt; sind die Vorraussetzungen im Tatsächlichen streitig, ist dies im Rückforderungsprozess zu klären. Auch alle anderen Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art, insb. die Entscheidung nicht (höchstrichterlich) geklärter Rechtsfragen, gehören in den Rückforderungsprozess.
3. Die Geltendmachung eines Anspruchs auf erstes Anfordern ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Gläubiger damit seine formale Rechtsposition offensichtlich missbraucht. Ein solcher Rechtsmissbrauch muss offen auf der Hand liegen oder zumindest liquide beweisbar sein.
Normenkette
BGB §§ 765, 773; InsO § 179
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.07.2006; Aktenzeichen 2-20 O 457/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 5.7.2006 verkündete Urteil des LG Frankfurt a.M. - Az.: 2-20 O 457/02 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Es wird festgestellt, dass in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der A AG
1. der Fa. B GmbH eine Forderung i.H.v 35.702.151,34 EUR,
2. der Fa. C GmbH eine Forderung i.H.v 10.961.632,97 EUR,
3. der Fa. D GmbH eine Forderung i.H.v. 1.613.428,34 EUR sowie
4. der Klägerin eine Forderung i.H.v. 282.028 EUR zustehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites fallen dem Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um den Inhalt und die Reichweite einer Freistellungsklausel zu Gunsten Dritter.
Die Klägerin erwarb mit Aktienkauf- und Übertragungsvertrag vom 30.12.1996 von der E AG ein Aktienpaket von 74,128 % an der F AG (im Folgenden F) in O1 zu einem Kaufpreis von insgesamt 205 Mio. DM. Rechtsnachfolgerin der Verkäuferin ist die A AG, die Insolvenzschuldnerin.
In den dem Vertragsschluss vorangegangenen Kaufvertragsverhandlungen hatte die Klägerin festgestellt, dass die F bzw. deren Tochtergesellschaften bei vier Bauvorhaben im Rahmen der Projektentwicklung den Investoren Garantiemieten für Laufzeiten von 10 Jahren zugesichert hatten. Die tatsächlich erzielten Mieten lagen weit unter der abzuführenden Generalmiete von jährlich insgesamt ca. 26,5 Mio. DM zzgl. Nebenkosten für die vier Objekte Dienstleistungspark ... hof A und B in O2,...-Allee in O2, Dienstleistungspark ...-straße in O3 sowie die Häuser ... I und II in O4. Die mit diesen Garantiezusagen verbundenen Risiken wollte die Klägerin nicht übernehmen. Deshalb schlossen die Firma G GmbH (nachfolgend G), bei der es sich um eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der A AG handelt, die später im Rahmen einer Umstrukturierung gem. § 123 UmWG zur Hgesellschaft mbH (nachfolgend H) umgewandelt wurde, und die Fa. F sowie deren Tochtergesellschaften C GmbH, D GmbH und die B GmbH einen Vertrag zur Übertragung von Generalmietverträgen. In § 4 dieses Vertrages verpflichtete sich die G gegenüber der Fa. F und ihren Tochtergesellschaften, deren Zahlungsverpflichtungen aus den Generalmietverträgen zu erfüllen, und zwar entweder durch eine befreiende Schuldübernahme mit Genehmigung der Vermieter/Eigentümer oder durch Freistellung im Innenverhältnis. Als Ausgleich für diese Risikoübernahme sollte die G 46 Mio. DM sowie für Kosten aus Vermietung und Verwaltung 3 Mio. DM erhalten. Unter Bezugnahme auf diese Vereinbarung trafen die Klägerin und die E AG in § 10 des Aktienkauf- und Übertragungsvertrages vom 30.12.1996 u.a. folgende Regelung:
"10.1 Der Verkäufer ("Versprechender") verpflichtet sich hiermit unbedingt und unwiderruflich gegenüber dem Käufer ("Versprechensempfänger") zugunsten der im Übernahmevertrag gemeinsam als F bezeichneten Unternehmen des F Konzerns (im folgenden gemeinsam "F" oder "Begünstigter") den Begünstigten auf erstes Anfordern des Versprechensempfängers von jedweden Nachteilen, gleich welcher Art und aus welchem Rechtsgrund, freizuhalten, die sich für den Begünstigten daraus ergeben, dass G ihre gesamten Pflichten und Verpflichtungen aus dem Übernahmevertrag gegenüber dem Begünstigten, sei es ganz oder teilweise aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nicht fristgemäß erfüllt (im Folgenden gemeinsam "Nachteile").
Die Verpflichtung, sie erlischt erst mit der vollständigen Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen der G aus dem Übernahmevertrag gegenüber F. Der Versprechende verpflichtet sich gegenüber dem Versprechensempfänger, dem Begünstigten sämtliche...