Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Preisanpassungsrecht eines Gasversorgungsunternehmens in einem liberalisierten Gasmarkt gegenüber einem Tarifkunden, der nicht Haushaltskunde ist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung des EuGH vom 23.10.2014 in den Rechtssachen C 359/11 und C-400/11 steht einem aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV abgeleiteten Preisanpassungsrecht eines Gasversorgungsunternehmens gegenüber einem Tarifkunden, der kein Haushaltskunde i.S.d. § 3 Nr. 22 EnWG 2005, Art. 2 Nr. 25 der Richtlinie 2003/55/EG ist, nicht entgegen.
2. Auch bei einer vollständigen Liberalisierung des Gasmarktes unterliegen die von einem Gasversorgungsunternehmen im Rahmen seines Preisanpassungsrechts vorgenommenen Preiserhöhungen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Dabei reicht es zum Nachweis der Billigkeit nicht aus, dass die (angepassten) Preise dem Marktpreis entsprechen, sondern es kommt auf das konkrete Vertragsverhältnis an.
Normenkette
BGB § 315; EnWG § 36; AVBGasV § 4 Abs. 1-2; GasGVV § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 19.11.2012; Aktenzeichen 5 O 56/12) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Gießen vom 19.11.2012 teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1082,95 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 14.07.2010 zu zahlen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin 10 %, die Beklagte 90 % zu tragen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 21 %, die Beklagte79 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Für die Klägerin wird die Revision zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen.
Die Klägerin belieferte die Beklagte für den Betrieb ihrer Apotheke jedenfalls seit dem Jahr 2000 mit Gas. Dabei erhöhte sie mehrfach einseitig die Gaspreise. Hiergegen hat die Beklagte erstmalig mit Schreiben vom 12.10.2004 Widerspruch erhoben. Die Beklagte zahlte in der Folgezeit die auf Erhöhungen entfallenden Anteile des Gaspreiseentgeltes nicht. Mit der Klage begehrt die Klägerin Bezahlung der nach ihrer Auffassung aus den Jahresabrechnungen vom 12.09.2006, 11.09.2008 und 14.09.2009 für die Jahre 2006-2008 noch ausstehenden Beträge in Höhe von insgesamt 1.369,67 EUR.
Eine erstinstanzlich erhobene Widerklage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer klägerseits am 28.5.2010 ausgesprochenen Kündigung des Gaslieferungsvertrages und auf Rückzahlung vermeintlicher Überzahlungen für die Jahre 2000 - 2005 hat die Beklagte noch in erster Instanz wieder zurück genommen.
Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen, insbesondere der konkreten Preisänderungen, sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das LG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe die Billigkeit der Gaspreiserhöhungen nach § 315 BGB weder dargelegt noch bewiesen. Sie habe die vom Gericht mit Beschluss vom 1.3.2012 gesetzten Auflagen, u.a. die Vorlage ihrer Bezugsverträge zur Darlegung der Entwicklung ihrer Bezugspreise, nicht erfüllt. Das Interesse des Versorgers an der Wahrung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überwiege im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vorliegend nicht die Interessen des Abnehmers an seinen Rechten aus dem ursprünglichen Vertrag in Verbindung mit dem Grundsatz "pacta sunt servanda". Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass alleiniger Aktionär der Klägerin die Stadt O1 sei, so dass die Klägerin bereits nicht grundrechtsfähig sei. Die von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft A GmbH stellten weder ein taugliches Beweismittel noch einen hinreichend substantiierten Vortrag dar. Die Gutachten seien nicht nachvollziehbar. Ein Zeugenbeweis sei nicht zu erheben, weil es bereits an substantiiertem Vortrag zu den Anlässen der Gaspreiserhöhung fehle.
Auch könne eine Billigkeitsprüfung nicht ohne Prüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen vorgenommen werden; die Einholung eines Gutachtens habe die Klägerin durch die Weigerung der Vorauszahlung vereitelt.
Nicht zutreffend sei auch die Auffassung der Klägerin, dass eine Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB nur bei Monopolen eingreife.
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, der Billigkeitsnachweis sei durch die vorgelegten Wirtschaftsprüfertestate belegt. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin lediglich gestiegene eigene Bezugskosten weiter gegeben habe. Für die inhaltliche Richtigkeit der in den Testaten enthaltenen Feststellungen habe sie Zeugenbeweis angeboten. Dies sei nach der Rechtsprechung des BGH zunächst ausreichend. Sie sei daher nicht verpflichtet gewesen, dem zu Unrecht erlassenen Auflagen- und Beweisbeschlus...