Entscheidungsstichwort (Thema)
VW-Dieselskandal: Unverhältnismäßigkeit der Geltendmachung der Nachlieferung
Leitsatz (amtlich)
1. Der vom Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag ist unwirksam, wenn der Verkäufer gegen den zunächst geltend gemachten Nachlieferungsanspruch wirksam die Einrede der relativen Unverhältnismäßigkeit der Nachlieferung gemäß § 439 Abs. 4 S. 1 BGB erhoben und der Käufer keine Frist zur Nachbesserung gesetzt hat.
2. Der Verkäufer kann die Einrede der Unverhältnismäßigkeit eines mangelfreien fabrikneuen typgleichen Fahrzeugs erheben, wenn spätestens bei Ablauf der angemessenen Nachlieferungsfrist ein für die Nachbesserung vom Kraftfahrbundesamt freigegebenes Software-Update vorliegt, das die latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung beseitigt und dessen Kosten die der Ersatzlieferung um ein Vielfaches unterschreiten (Fortührung Senat, Urteil vom 20.5.2020 - 17 U 328/19, juris).
Normenkette
BGB §§ 434, 437, 439
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 30.11.2018; Aktenzeichen 9 O 1038/17) |
Tenor
Die gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 30. November 2018 gerichtete Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger erwarb mit schriftlichem Kaufvertrag vom 11. Juni 2011 bei der Beklagten zu 1) einen VW Golf Plus zum Kaufpreis von 22.900,00 EUR einschließlich Selbstabholungskosten i.H.v. 360,01 EUR, welches von der Beklagten zu 1) am 8. Oktober 2011 an den Kläger ausgeliefert wurde. Das von der Beklagten zu 2) hergestellte Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerung des Motors war so programmiert, dass im Falle des Durchlaufens des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), welcher Teil des Typengenehmigungsverfahrens ist, die Abgasrückführung in einen NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 1) versetzt wird, während sie außerhalb des NEFZ im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 0) operiert. Im Modus 0 ist die Abgasrückführungsrate geringer.
Das Kraftfahrbundesamt verpflichtete die Beklagte zu 2) zur Entfernung dieser Abschalteinrichtung. Die Beklagte zu 2) entwickelte daher ein Software-Update, durch das das Abgasrückführungssystem dergestalt überarbeitet wird, dass die Abgasrückführung nur noch in einem einheitlichen Betriebsmodus arbeitet und der Verbrennungsprozess durch eine Anpassung der Einspritzcharakteristik optimiert wird.
Der Kläger forderte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 6. September 2016 (Anlage R 40 - Anlagenordner Kläger) auf, bis zum 13. Oktober 2016 als Ersatz für das mangelbehaftete Fahrzeug ein neues Fahrzeug ohne Abschalteinrichtung zu liefern. Die Beklagte zu 1) wies das Nachlieferungsverlangen mit Schreiben vom 8. September 2016 wegen Unverhältnismäßigkeit zurück. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2016 forderte die Beklagte zu 2) den Kläger auf, das Software-Update installieren zu lassen. Dem kam der Kläger trotz mehrfacher Erinnerung nicht nach. Vielmehr erklärte er mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 (Anlage K 2 - Bl. 77 d.A.) die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und trat hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der Anfechtung vom Kaufvertrag zurück. Die Beklagte zu 1) verwies den Kläger auf die angebotene Nachbesserung, wobei sie auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2017 verzichtete.
Der Kläger hat die Beklagte zu 1) auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des erworbenen Fahrzeugs sowie Zahlung einer von der Beklagten zu 1) der Höhe nach darzulegenden Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen. Des Weiteren hat er Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten zu 1) und Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten begehrt. In Bezug auf die Beklagte zu 2) hat der Kläger festgestellt wissen wollen, dass die Beklagte zu 2) zum Ersatz von Schäden aus der "Manipulation des Fahrzeugs" verpflichtet sei.
Der Kläger hat behauptet, ihm sei es auf ein umweltfreundliches und wertstabiles Fahrzeug angekommen, mit dem er jederzeit auch in Städte fahren könne, die eine grüne Umweltplakette erforderten. Er war der Auffassung, die Beklagte zu 2) habe ihn bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig über die Abgasemissionen des Fahrzeugs getäuscht und damit zum Kauf veranlasst. Diese Täuschung müsse sich die Beklagte zu 1) gem. § 123 Abs. 2 BGB zurechnen lassen. Infolge der wirksamen Anfechtung seien die ausgetauschten Leistungen gem. § 812 Abs. 1 BGB zurück zu gewähren. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf Rückgewähr wegen des hilfsweise erklärten Rücktritts vo...