Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters
Leitsatz (amtlich)
Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters entfällt nicht deshalb, weil die Insolvenzschuldnerin nicht in Folge der Beendigung des Vertragsverhältnisses, sondern wegen Insolvenz Ansprüche auf Provision verliert, die sie bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit von ihr geworbenen Kunden hätte (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB). Hiergegen spricht, dass die Fortsetzung des Handelsvertretervertrages und die gleich bleibende Tätigkeit des Handelsvertreters zu unterstellen sind, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Handelsvertreter überhaupt noch weitere provisionspflichtige Geschäfte hätte vermitteln können.
Normenkette
HGB § 89b
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3-9 O 110/02) |
Nachgehend
Gründe
I. Die Parteien streiten um den Ausgleichsanspruch der Insolvenzschuldnerin nach Beendigung des Vertragshändlervertrages mit der Beklagten.
Die Insolvenzschuldnerin, die Auto A GmbH in O1, war seit mehr als 30 Jahren als Vertragshändlerin für die Beklagte tätig, zuletzt auf der Grundlage des Händlervertrags vom 9.10.1996 (Anlage K1).
Mit Schreiben vom 31.12.1997 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis ordentlich zum 31.1.2000 (Anlage K2).
Mit anwaltlichen Schreiben vom 4.11.1999 (Anlage K24) machte die Insolvenzschuldnerin dem Grunde nach einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB analog geltend.
Mit Schreiben vom 4.10.2000 konkretisierte die Insolvenzschuldnerin ihren Anspruch und forderte unter Fristsetzung bis zum 27.10.2000 eine Zahlung i.H.v. 278.840,68 DM, die der Kläger dann unter Vorlage einer Ausgleichsanspruchsberechnung auf 271.425,53 DM beziffert hat.
Am 1.11.2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kläger hat behauptet, der Insolvenzschuldnerin stehe der geltend gemachte Anspruch zu. Wegen der Berechnung und der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 19.7.2002 Bezug genommen (Bl. 2 ff.)..
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 138.777,67 EUR nebst 5 % Zinsen seit dem 1.2.2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat u.a. die Auffassung vertreten, der Insolvenzschuldnerin stehe schon deshalb kein Ausgleichsanspruch zu, weil die Provisionsverluste nicht durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses, sondern infolge der Insolvenz eingetreten seien. Im Übrigen beanstandet sie die Berechnung des Klägers im Einzelnen.
Sie hat behauptet, die Sogwirkung der Marke AF betrage mindestens 60 %.
Sie hat erklärt, hilfsweise rechne sie mit nicht beglichenen Gegenforderungen aus Materiallieferungen vom 11.12.1999 und 22.1.2000 i.H.v. insgesamt 5.181,49 EUR auf (Bl. 104 f.).
Das LG hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Sogwirkung der Marke AF betrage mindestens 60 %, durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. SV1.
Mit der am 1.3.2006 verkündeten Entscheidung (Bl. 501-525), auf die - auch zur Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien - Bezug genommen wird, hat das LG der Klage i.H.v. 66.826,95 EUR stattgegeben.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und ergänzt. Sie meint, infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe die Insolvenzschuldnerin keinen Anspruch auf Ausgleich. Sie greift in 4 Positionen die vom LG für das letzte Vertragsjahr angenommene Stammkundeneigenschaft an. Sie meint, die von der Beklagten als Boni gewährten Zusatzzahlungen (Großabnehmerzuschüsse, Leasingzuschüsse, Vermittlungsprovisionen, Prämien und Sondervergütungen) seien bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht zu berücksichtigen. Sie ist der Ansicht, es seien mindestens 3 % des nach der unverbindlichen Preisempfehlung berechneten Mehrfachkundenumsatzes (MFK-UPE) für verwaltende Tätigkeiten abzuziehen und weitere 1 % für Werbungskosten. Sie ist der Ansicht, das letzte Vertragsjahr könne als typisch hochgerechnet werden. Sie meint, die Sogwirkung der Marke AF betrage 60 %, das LG habe es insoweit verfahrensfehlerhaft unterlassen, eine Marktuntersuchung durch einen Sachverständigen vornehmen zu lassen.
Die Beklagte trägt vor, der geltend gemachte Anspruch scheitere an § 89b Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 HGB, weil die Beklagte aus Rechtsgründen keine rabattfreien Geschäfte mit den von ihren Händlern geworbenen Neukunden durchführen könne. Sie könne keine Direktgeschäfte unter Umgehung ihrer Vertragshändler durchführen und müsse ihren Vertragshändlern Rabatte für alle Verkäufe gewähren, ohne Rücksicht darauf, ob der Kunde von einem anderen Händler oder von einem ausgeschiedenen Händler geworben wurde. Im Ergebnis müsse sie daher doppelt Rabatte gewähren, sowohl an den ausgeschiedenen Vertragshändler als Ausgleichszahlung als auch an die aktiven Vertragshä...