Leitsatz (amtlich)
1. Ein niedergelassener Arzt, der eine gewerbliche Diät- und Ernährungsberatung einschließlich des Vertriebs dazugehöriger Produkte in seinen Praxisräumen betreibt, verletzt seine Berufspflichten auch dann, wenn dies außerhalb der Sprechstundenzeiten geschieht.
2. Der Anbieter des Diät- und Ernährungsprogramms darf die Ärzte nicht dazu veranlassen, die Beratungs- und Vertriebstätigkeit in den Praxisräumen vorzunehmen.
Normenkette
BOÄ § 3 Abs. 2; UWG §§ 3, 4 Nr. 11
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 23.03.2004; Aktenzeichen 12 O 563/03) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.3.2004 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Darmstadt abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollstrecken ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
bei Ärzten ein Konzept zu bewerben, das vorsieht, dass Ärzte das X-Diät- und Ernährungsprogramm empfehlen und/oder vertreiben, und hierbei den Eindruck zu vermitteln, der Arzt dürfe die Empfehlung und/oder die Anwendung und/oder den Vertrieb des X-Programms ohne eine (auch) räumliche Trennung von der Arztpraxis vornehmen, wenn dies geschieht wie in der Anlage K1, S. 3 und 4 mit den Überschriften: "Der richtige Partner für Sie auf dem Weg in die Zukunft" und "Informationen zu Gewerbe und Recht" und/oder wie im Anhang zu Anlage K5 "Arbeitsblatt Rechtsgrundlage".
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 20.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin, die A, nimmt die Beklagte wegen eines Wettbewerbsverstoßes in Anspruch, der sich aus dem Verleiten niedergelassener Ärzte zu berufsrechtswidrigem Verhalten ergebe.
Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung "X" ein Diät- und Ernährungsprogramm zum Zweck der Gewichtsreduktion an, das den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln und diätetischen Lebensmitteln aus der "X"- Produktlinie umfasst. Die Beklagte vertreibt ihre Produkte im Rahmen des "X Diät- und Ernährungsprogramms" über fachkundige Personen, die als Ernährungsberater fungieren. Eine solche Beratungstätigkeit bietet die Beklagte auch niedergelassenen Ärzten an. In ihrer Internetwerbung gem. der Anlage K 1, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wendet sich die Beklagte unter der Überschrift "Der richtige Partner für Sie auf dem Weg in die Zukunft" an Ärzte und propagiert die Vorteile eines nachfrageorientiert agierenden "Unternehmens Arztpraxis". Unter anderem heißt es dort: "Als Arzt wird Ihnen in der Bevölkerung eine besonders hohe Beratungskompetenz zum Themenkomplex -Gesunde Ernährung zugesprochen. Mit dem medizinisch gestützten X Diät- und Ernährungsprogramm haben Sie die Möglichkeit, Ihr Leistungsspektrum jenseits der heilkundlich orientierten Tätigkeit durch eine qualifizierte Ernährungsberatung zu erweitern." Unter der Überschrift "Informationen zu Gewerbe und Recht" führt die Beklagte u.a. aus: "Sofern die gewerbliche Ernährungsberatung und die freiberufliche ärztliche Tätigkeit organisatorisch, wirtschaftlich und rechtlich voneinander getrennt durchgeführt werden, steht das ärztliche Berufsrecht einer gewerblichen Tätigkeit nicht entgegen. Mit der Trennung ist insb. gemeint, dass die gewerbliche Tätigkeit außerhalb der Sprechstundenzeiten und Behandlungszeiten stattfindet." Zu den steuerrechtlichen Aspekten weist die Beklagte darauf hin, dass "die Kosten für Einrichtung, Räume (...), die sowohl für die Arztpraxis als auch für die Ernährungsberatung anfallen," beiden Unternehmen anteilig zugerechnet werden könnten. Schließlich heißt es in dem bei Schulungen für Berater verwendeten Arbeitsblatt "Rechtsgrundlagen" (Anhang zur Anlage K 5) zu dem Stichwort "Örtliche Trennung": "Optimal ist die örtliche Trennung zwischen Arztpraxis und Gewerberaum. Mehrfachnutzung vorhandener Praxisräume unterliegt jedoch keiner Beschränkung der Berufsordnung (BGH in NJW 89/2324)."
Im Rahmen des X Diät- und Ernährungsprogramms sind bereits zahlreiche Ärzte für die Beklagte als Berater tätig geworden. Häufig findet die gewerbliche Ernährungsberatung (außerhalb der Sprechzeiten) in den Praxisräumen statt, wobei meistens das Wartezimmer oder Nebenräume zweckentsprechend umgestaltet werden.
Die Klägerin hatte die Beklagte wegen ähnlicher Werbung schon einmal unter dem 4.5.2001 abgemahnt (Anlage K 2). Die Beklagte hatte die Abmahnung mit Anwaltsschreiben vom 10.5.2001 (Anlage K 3) zurückgewiesen. Im Mai 2003 griff die Klägerin die Angel...