Entscheidungsstichwort (Thema)

Irreführende Werbung mit Klimaneutralität

 

Leitsatz (amtlich)

Die Werbeangabe "klimaneutrales Unternehmen" ist irreführend, wenn die Klimabilanz des Unternehmens entgegen dem Verständnis des angesprochenen Verkehrs nicht zumindest durch den Kauf von Zertifikaten ausgeglichen ist.

 

Normenkette

UWG § 5 Abs. 2 Alt. 1 Nr. 3; UWG § 5 Abs. 2 Alt. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.02.2023; Aktenzeichen 3-12 O 21/22)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

1. Der Antragsgegnerin wird in teilweiser Abänderung des Urteils der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 15.07.2022, Az. 3-12 O 21/22, unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ersatzordnungshaft, oder der Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, die (Ersatz-/)Ordnungshaft jeweils zu vollziehen am Geschäftsführer der Antragsgegnerin, untersagt,

a) mit der Angabe

"Klimaneutrales Unternehmen"

zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies wie in dem als Anlage Ast. 6 wiedergegebenen Video geschieht;

b) mit der Angabe

"unserem Angebot der Klimaneutralen Hygiene"

zu werben und/oder werben zu lassen, wenn dies wie in dem als Anlage Ast. 6 wiedergegebenen Video geschieht.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in beiden Instanzen tragen die Antragstellerin 1/3 und die Antragsgegnerin 2/3.

4. Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung von nach ihrer Auffassung wettbewerbswidrigen Behauptungen in einem YouTube-Video in Anspruch.

Die Antragstellerin ist als Vertriebsgesellschaft für den Verkauf der von ihrer Muttergesellschaft hergestellten ökologischen Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel aus deren "Professional"-Sparte zuständig. Insoweit konkurriert sie mit der Antragsgegnerin, die unter anderem solche Reinigungsprodukte (ausschließlich) für professionelle Anwender herstellt und über ihren Onlineshop vertreibt (zu dessen Gestaltung im streitgegenständlichen Zeitraum, vgl. Anlage AG1).

Die Antragsgegnerin verfügt über mehrere umweltbezogene Zertifizierungen, darunter eine Bescheinigung der V GmbH & Co. KG (nachfolgend: V) vom 30.09.2021 als "Klimaneutrales Unternehmen". Nach diesem Zertifikat hat die Antragsgegnerin die Treibhausgasemissionen ihres Unternehmens für 2021 durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten ausgeglichen (vgl. Anlagen AG8, AG11). Grundlage dieser Bescheinigung sind von der Antragsgegnerin selbst zur Verfügung gestellte, extern nicht überprüfte Daten aus deren Geschäftsjahr 2019 (vgl. auch die Validierung der W in Anlage AG12).

Grundlage der von V für die Antragstellerin erstellten Treibhausgasbilanz ist das sog. Greenhouse Gas Protocol (GHG). Das GHG stellt eine von mehreren auf privatrechtliche Initiativen zurückgehenden Möglichkeiten dar, die Treibhausgasemissionen zu ermitteln. Gesetzliche Vorgaben oder einen einheitlichen Standard gibt es bislang nicht. Das GHG ordnet verschiedene Emissionskategorien drei verschiedenen Bereichen (Scopes 1 bis 3) zu. Die Emissionen aus den Scopes 1 und 2 sind bei der Bilanzierung zwingend zu berücksichtigen. Eine (vollständige oder teilweise) Einbeziehung von Emissionen aus dem Scope 3 (vgl. insofern Anlage Ast14) steht im Belieben des jeweiligen Unternehmens. Die Antragsgegnerin hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht und Teile der produktbezogenen Emissionen nicht in ihre Treibhausgasbilanz 2021 einbezogen (zu den Einzelheiten, vgl. Anlage AG11 i.V.m. S. 14 f. der Berufungserwiderung, GA 309 f.). So sind zwar die direkt durch die Herstellung von Produkten in ihrem Unternehmen, etwa durch den Verbrauch von Wärme und Strom (Scope 1 bzw. 2) und die Emissionskategorien des Scope 3 "vorgelagerte energiebezogene Emissionen", "Geschäftsreisen und Hotelübernachtungen", "Wasser/Abwasser", "Abfallaufkommen im Unternehmen", "Papierverbrauch", "Hardware", "Verbrauchsmaterialien Produktion" und "Austauschlogistik durch Dritte" berücksichtigt (vgl. Anlage AG1 S. 4; siehe auch die Erklärung der W in Anlage Ast31: "Insgesamt wurden 846,2 tCO2 [der indirekten Scope 3 Emissionen] erfasst, was einem Anteil von 33 % der berechneten THG-Bilanz entspricht. Dabei werden Scope 3 Emissionen der Vorketten, des eignen Energiebezugs, Anlagegüter, Dienstreisen, Anfahrten der Mitarbeiter sowie Abfalldaten und Austauschlogistik erfasst"). Nicht einbezogen wurden aber folgende vor- und nachgelagerten Treibausgasemissionen des Scope 3: "Eingekaufte Güter und Dienstleistungen (Herstellung/Gewinnung, Verarbeitung und Transport)", "Eingekaufte Kapitalgüter (Gebäude, Fahrzeuge und Anlagen)", "Transport und Verteilung der eingekauften Waren", "Verarbeitung der verkauften Produkte", "Nutzung der verkauften Produkte durch Endkonsumierende" und "Umgang mit verkaufte...

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