Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerrufsbelehrung - Verstoß gegen das Deutlichkeitsgebot - Vertrauensschutz durch Gesetzlichkeitsfiktion - Behandlung von Abweichung oder Zusatz zur Musterbelehrung - Wertersatz für Gebrauchsvorteile
Leitsatz (amtlich)
1. Im Zuge der Rückabwicklung eines wirksam widerrufenen Verbraucherdarlehensvertrages schuldet der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer gemäß § 346 Abs. 1 Hs. 1 BGB die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und gemäß § 346 Abs. 1 Hs. 2 BGB die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der (widerleglich) vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen.
2. Bei Zahlungen an eine Bank besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Bank Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses gezogen hat, die sie als Nutzungsersatz herausgeben muss.
3. Der gesetzliche Verzugszins beträgt in den Fällen des § 497 Abs. 1 S. BGB in der bis zum 10.6.2010 gültigen Fassung bzw. nach § 503 Abs. 2 BGB in der ab 11.6.2010 bis zum 20.3.2016 gültigen Fassung 2,5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, so dass im Anwendungsbereich dieser Normen nicht zum Nachteil der Bank eine Nutzungsziehung in Höhe des allgemeinen gesetzlichen Verzugszinses von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz widerleglich vermutet werden. An seiner in der Entscheidung vom 27. 1.2016 (Az. 17 U 16/15).
Normenkette
BGB § 346 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 27.02.2015; Aktenzeichen 3 O 370/14) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung der Kläger wird das Urteil des LG Gießen vom 27.02.2015 (Az.: 3 O 370/14) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 28.574,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.02.2014 sowie weitere 1.666,95 EUR vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.04.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 12 % und die Beklagte 88 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger begehren von der Beklagten nach der vorzeitigen Abwicklung eines Darlehensvertrages auf der Grundlage eines nach der Abwicklung erklärten Widerrufs Zahlung in Höhe von insgesamt 32.496,29 EUR.
Der Kläger schloss als Verbraucher mit der Beklagten am 15.08.2007 einen Darlehensvertrag (Vertragsnummer ...) über ein endfälliges Darlehen im Nennbetrag von 168.000,- EUR bei einer Zinsfestschreibung bis zum 30.07.2017. Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf dessen Kopie (Anlage L 1 - Bl. 19. d.A.) verwiesen. Diesem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, wegen deren Inhalt und Ausgestaltung auf die Kopie (Anlage L 2 - Bl. 22 d.A.) Bezug genommen wird. Im Jahr 2013 führten die Kläger das Darlehen vollständig zurück und zahlten an die Beklagte eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 27.525,00 EUR.
Mit Schreiben vom 20.10.2013 erklärten die Kläger den Widerruf des Darlehensvertrages.
Die Kläger haben vorgetragen, das Recht zum Widerruf der Vertragserklärung sei mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nach § 355 Abs. 3 S. 3 BGB zum Zeitpunkt der Erklärung des Widerrufs noch nicht erloschen gewesen. Die Beklagte könne sich nicht auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. berufen, da die von ihr erteilte Widerrufsbelehrung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung nicht vollständig der Musterwiderrufsbelehrung entspreche. Insbesondere sei der Zusatz in der Überschrift: "zu Darlehen mit anfänglichem Festzins u. dinglicher Sicherheit über TEUR 168,0" und die Fußnote 1 mit dem Inhalt: "Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z.B. Darlehensvertrag vom ..." sowie die Einfügung einer Fußnote 2 mit dem Inhalt: "Bitte Frist im Einzelfall prüfen", nach dem ersten Satz im Text der Widerrufsbelehrung als wesentliche Abweichung von der Musterbelehrung zu bewerten. Zudem stelle die Wiedergabe von Ausfüllhinweisen im ersten Absatz der Widerrufsbelehrung eine wesentliche und beachtliche Abweichung von der Musterbelehrung dar. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass entgegen dem Gestaltungshinweis in Nr. 9 zur Muster-Widerrufsbelehrung im Absatz: "Finanzierte Geschäfte" der Satz 2: "Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind, oder wenn wir uns bei Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen", nicht durch den Satz: "Dies ist nur anzunehmen, wenn die Vertragspartner in beiden Verträgen identisch sind oder we...