Leitsatz (amtlich)

1. Der Unterlassungsanspruch eines schon seit mehreren Jahren wegen einer Straftat rechtskräftig Verurteilten gegen einen ihn identifizierenden Artikel in einem sog. Online-Archiv hängt wesentlich von der durch den Bericht erzielten Breitenwirkung ab.

2. Kein Unterlassungsanspruch gegen eine im Zeitpunkt der Veröffentlichung zulässige Berichterstattung, in der der Verurteilte nur ganz beiläufig erwähnt wird

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; KUG § 22

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 02.11.2006; Aktenzeichen 2-3 O 376/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des LG Frankfurt am Main - 3. Zivilkammer - vom 2.11.2006 abgeändert.

Die Beschlussverfügung vom 9.6.2006 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Verfügungskläger zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Der Verfügungskläger (nachfolgend Kläger) wurde 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler A zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Revision des Klägers hat der BGH 1994 verworfen. Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG Anfang 2000 nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend Beklagte) strahlte am 25.1.2001 eine Dokumentation über die Hintergründe des Mordes an A unter der Überschrift "..." aus. Sie hat in ihrem Online-Archiv in einer zuletzt am 26.4.2002 aktualisierten Fassung über diese Sendung, wie aus der Anlage AS 1 ersichtlich, unter namentlicher Nennung des Klägers berichtet.

Auf die Abmahnung des Klägers vom 30.5.2006 hat die Beklagte den Beitrag von ihrer Website entfernt, jedoch keine Unterlassungserklärung abgegeben. Das LG hat mit Beschlussverfügung vom 9.6.2006 der Beklagten untersagt, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an A in identifizierender Weise, insb. bei voller Namensnennung, zu berichten.

Auf den Widerspruch der Beklagten hat es die einstweilige Verfügung durch Urteil vom 2.11.2006 bestätigt.

Begründet hat es die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die angegriffene Berichterstattung im Internet bereits bei ihrem Erscheinen im Jahre 2001 nicht zulässig gewesen sei, weil sie sich auf eine im Zeitpunkt ihres Erscheinens nicht zulässige Fernsehdokumentation bezogen habe. Die Namensnennung des Klägers in dem Dokumentarfilm sei nicht durch die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt gewesen, weil ihr bereits im Zeitpunkt der Erstausstrahlung das Resozialisierungsinteresse des Klägers entgegengestanden habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, das LG habe zu Unrecht darauf abgestellt, ob die Namensnennung des Klägers in dem Fernsehbeitrag zulässig gewesen sei.

Die Zulässigkeit der Sendezusammenfassung und der Sendung selbst seien unabhängig voneinander zu beurteilen. Für die Berichterstattung gälten andere Maßstäbe als für die Archivierung.

Entgegen der Auffassung des LG sei die zugrundeliegende Fernsehdokumentation im Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung aber auch nicht rechtswidrig gewesen. Im Zeitpunkt der Erstausstrahlung habe sich der Kläger noch nicht auf ein Re-sozialisierungsinteresse berufen können, da seit seiner Festnahme noch nicht einmal 10 Jahre vergangen gewesen seien. Es habe sich bei der Fernsehsendung auch nicht um ein Dokumentarspiel, sondern um eine Dokumentation gehandelt, von der weder eine "Breiten- und Tiefenwirkung" noch eine Stigmatisierung des Klägers ausgegangen sei.

Der Kläger habe insb. durch das Verhalten seines damaligen Verteidigers Prof. Dr. 1 schon vor Entstehung der Sendung konkludent in die Aufhebung seiner Anonymität eingewilligt. Prof. Dr. 1 sei außerordentlich daran interessiert gewesen, dass durch die Veröffentlichung der Dokumentation die im Wiederaufnahmeverfahren vertretene These der Unschuld des Klägers öffentlichkeitswirksam verbreitet werde. Die sachlichen Argumente dafür seien auch in den Fernsehbeitrag eingeflossen. Auch aus späteren Äußerungen des Verteidigers, so etwa bei einer Presseerklärung am 15.4.2005, ergebe sich, dass der Kläger jedenfalls für die Dauer noch laufender Wiederaufnahmeverfahren mit seiner Identifizierung in der Öffentlichkeit einverstanden gewesen sei.

Die Erstveröffentlichung des Fernsehbeitrags der ... im Juni 2000 sei während des laufenden zweiten Wiederaufnahmeverfahrens erfolgt, während kurz zuvor die Entscheidung des BVerfG veröffentlicht worden sei, mit der die Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung des Klägers nicht angenommen wurde. Mithin habe es nicht an einem hinreichenden Anlass zu der fraglichen Berichterstattung gefehlt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG Frankfurt am Main vom 2.11.2006 (Az. 2-3 O 376/06) aufzuheben und den Verfügungsantrag des Berufungsbeklagten vom 7.6.2006 kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass der Antragsgegnerin bei Meidung der entsprechenden Ordnungsmittel untersagt wird, über den Antragsteller im Zusammenhang mit dem Mord an A i...

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