Leitsatz (amtlich)

Eine medizinische Aufklärung ist nur dann rechtzeitig, wenn der Patient ohne vermeidbaren Druck in die Lage versetzt wird, seine Entscheidung für oder gegen den Eingriff frei zu treffen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Eltern eines wenige Wochen alten Kindes erst am Vorabend einer lebenswichtigen, aber nicht akut indizierten Herzoperation über deren Risiken informiert werden, nachdem das Kind schon operationsvorbereitenden Maßnahmen (u.a. Ultraschalluntersuchungen, Herzkatheder, Monitorüberwachung) unterzogen worden ist.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, § 280 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-4 O 507/06)

 

Gründe

I. Das LG hat dem Kläger (geboren am ... 2003) ein Schmerzensgeld von 125.000 EUR zugesprochen und die Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden festgestellt. Im Hinblick auf eine begehrte Schmerzensgeldrente hat das LG die Klage abgewiesen.

Das LG hat festgestellt, dass der Kläger am 10.6.2003 zur Korrektur eines Herzfehlers in einer Klinik des beklagten Klinikums der A (kurz: die Beklagte) am Herzen operiert wurde. Der Eingriff verursachte eine Hirnblutung und derartige Hirnschäden, dass dem Kläger ein Ableitungssystem für überschüssige Gehirnflüssigkeit ("VP-Shunt") in das Gehirn implantiert wurde. Der Kläger muss dieses Ableitungssystem dauerhaft tragen. Der Kläger leidet an Epilepsie und hat eine Entwicklungsverzögerung erlitten.

Das LG geht davon aus, dass sich bei dem Kläger schicksalhaft ein Risiko verwirklicht hat, das der durchgeführten Herzoperation anhaftet und über das die Eltern des Klägers hätten aufgeklärt werden müssen, bevor sie eine Eingriffseinwilligung erteilten. Dass sie über dieses Risiko aufgeklärt worden sind, konnte das LG nicht feststellen. Das LG geht außerdem davon aus, dass die am Vorabend des Eingriffs erfolgte Aufklärung verspätet war. Es meint schließlich, die Aufklärung sei wegen mangelhafter Deutschkenntnisse des Vaters des Klägers unzureichend gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die angefochtene Entscheidung verwiesen (Bl. 151 ff. d.A.).

Die Berufung der Beklagten ist auf vollständige Klageabweisung gerichtet. Die den Eltern des Klägers erteilte Aufklärung sei weder inhaltlich unzureichend noch mangels erforderlicher Sprachkenntnisse oder wegen Verspätung unwirksam gewesen, wozu in der Berufungsbegründungsschrift jeweils näherer Vortrag gehalten wird.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

II. Der Berufung ist der Erfolg zu versagen, weil das LG zu Recht von einer unvollständigen Eingriffsaufklärung ausgegangen ist, der Eingriff deswegen rechtswidrig war und die Beklagte daher auch für die Beeinträchtigungen des Klägers im zuerkannten und von der Berufung insoweit nicht angegriffenen Umfang einzustehen hat.

Das LG ist insbesondere zu Recht davon ausgegangen, dass die Eltern des Klägers nicht hinreichend aufgeklärt waren, als sie die Operationseinwilligung für den Kläger erteilten.

Es bestehen schon Zweifel, ob den Eltern des Klägers die für eine wirksame Eingriffsaufklärung erforderlichen Inhalte vermittelt worden sind. Dass die Operation mit dem Risiko einer Hirnblutung und daraus folgenden dauerhaften Hirnschäden verbunden und dieses Risiko aufklärungspflichtig war, hat das LG aus dem unstreitigen Tatsachenvorbringen beider Parteien geschlossen. Der Senat teilt diese Auffassung. Soweit die Berufung vorbringt, es handele sich um eine extrem seltene Komplikation und damit offenbar erstmals meint, es habe sich nicht um ein aufklärungspflichtigen Umstand gehandelt, ist sie mit diesem auch sachlich wenig substantiierten Vorbringen nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen.

Dass die Eltern des Klägers über dieses Risiko und die damit verbundenen möglichen Folgen für seien Leben im Großen und Ganzen durch den Zeugen Z1 aufgeklärt worden seien, hat der Zeuge Z1 ggü. dem LG nicht bestätigt. Hinsichtlich der Blutungsrisiken hat er hat lediglich bestätigt, über mögliche Nachblutungen am Herzen (nicht also über Hirnblutungen) aufgeklärt zu haben.

Ob das von ihm ebenfalls genannte Risiko eines Schlaganfalls zugleich eine hinreichende Aufklärung über das Risiko einer cerebralen Blutung mit nachfolgender dauerhafter Hirnschädigung enthält, kann aber letztlich offen bleiben.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass den Eltern des Klägers die bestehenden Risiken des Eingriffs auf Grund der Anästhesieaufklärung bewusst waren. Der Umstand, dass bei der Anästhesieaufklärung andere und teilweise erheblichere Gefahren verdeutlicht wurden, als sie sich am Kläger verwirklicht haben, begründet nicht den Schluss, dass der Kläger dadurch auch über die spezifischen Eingriffsgefahren hinreichend aufgeklärt war. Eine Anästhesieaufklärung betrifft in aller Regel Risiken, denen sich eine Vielzahl von Narkosepatienten regelmäßig ausgesetzt sieht. Eine rechtfertigende Einwilligung setzt aber voraus, dass der Pati...

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