Leitsatz (amtlich)
Wenn der Patient nicht beweisen kann, dass ihm durch eine ohne hinreichende Aufklärung durchgeführte Strahlenbehandlung ein Gesundheitsschaden entstanden ist, so haftet der Arzt nur für die mit der Strahlenbehandlung einhergehenden Beeinträchtigungen. Das kann bei einer 82-jährigen Patientin, die sich rund zwei Wochen regelmäßigen Röntgenuntersuchungen unterzogen hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 EUR rechtfertigen.
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Aktenzeichen 1 O 489/04) |
Gründe
I.
Die im Jahre 1921 geborene Klägerin wurde von der Beklagten in der Zeit vom 31.1. bis 17.2.2003 wegen Rheuma an den Händen bestrahlt.
Amt 28.3.2003 wurde sie in die Klinik O1-... mit der Diagnose "Verdacht auf gastrointestinale Blutung" eingeliefert. Dort diagnostizierten die Ärzte u.a. "Verbrennungen der Fingerkuppen nach Bestrahlung wegen Arthrose". Am 12.12.2003 wurden der Klägerin Teile des Zeigefingers der linken Hand , am 22.1.2004 die ersten beiden Glieder des Mittelfingers der rechten Hand und am 25.5.2004 der restliche Zeigefinger der linken Hand amputiert.
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld, wobei sie 12.000,-- EUR für angemessen hält, des weiteren Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit kein Forderungsübergang eingetreten ist.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte habe die Röntgenbestrahlung der Hände jeweils viel zu lange durchgeführt und auch nicht berücksichtigt, dass die Klägerin bei der Bestrahlung schon 82 Jahre alt gewesen sei. Vor allen Dingen sei die Klägerin aber niemals über die Risiken und möglichen Nebenwirkungen einer Strahlenbehandlung aufgeklärt worden. Wäre dies geschehen, so hätte sie sich nicht bestrahlen lassen.
Die Beklagte hat einen Behandlungsfehler in Abrede gestellt und geltend gemacht, dass die der Klage zugrunde liegenden Verletzungen der Klägerin in keinem Zusammenhang mit den durchgeführten Bestrahlungen stünden. Bei den von ihr gewählten Bestrahlungswerten seien die von der Klägerin behaupteten Bestrahlungsfolgen ausgeschlossen.
Nach Einholung eins Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. SV1 vom 30.11.2005 und Anhörung der Gutachterin am 15.5.2006 (Bl. 52 - 56, 70 - 72 d.A.) hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld von 12.000,-- EUR an die Klägerin zu zahlen. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Bestrahlungsbehandlung in der Zeit vom 31.1.2003 bis 17.2.2003 noch entstehen werden, soweit kein Übergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte erfolgt ist. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagten zwar kein Behandlungsfehler zur Last zu legen sei, dass sie jedoch wegen mangelhafter Aufklärung der Klägerin hafte. Die Sachverständige habe dargelegt, dass bei jedem Einsatz einer ionisierten Strahlung zu Therapiezwecken eine Aufklärung des Patienten über etwaige Nebenwirkungen erfolgen müsse. Dabei müsse auch nach sog. Co-Faktoren gefragt werden, etwa, ob die Patientin Medikamente einnehme. Die Beklagte sei dem Vortrag der Klägerin, sie hätte bei sachgerechter Aufklärung eine entsprechende Behandlung nicht vornehmen lassen, nicht entgegengetreten. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes habe das Gericht die eingetretenen Beeinträchtigungen an den Händen, die Verbrennungssymptome sowie insbesondere die Amputationen berücksichtigt. Die eingetretenen Folgen seien dem Handeln der Beklagten auch zurechenbar, da die Sachverständige sich sicher gewesen sei, dass das Verletzungsbild auf eine Verbrennung durch ionisierte Strahlungen zurückzuführen ist.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung erstrebt die Beklagte Abänderung des angefochtenen Urteils und Klageabweisung. Es fehle vorliegend an einer Kausalität der erfolgten röntgenologischen Bestrahlungen für die geltend gemachten Verletzungsfolgen. Die Sachverständige habe ausgeschlossen, dass die Röntgenbestrahlung ursächlich für die Nekrosebildung gewesen sei. Die Strahlendosis hätte um 50-mal höher sein müssen, um eine Nekrosebildung mit der Notwendigkeit einer Amputation auszulösen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob die Sachverständige die bei ihr eingetretenen Verletzungsfolgen vollständig habe aufklären können. Entscheidend sei allein, dass die Beklagte ihre Verpflichtung zur Aufklärung verletzt habe. Auch bei einem bloßen Aufklärungsfehler könne der behandelnde Arzt zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er bei einer im übrigen ordnungsgemäßen Behandlung den Patienten nicht hinreichend aufgeklärt habe. Die Sachverständige habe in ihrer Anhörung auch bekundet, dass es möglicherweise deshalb zu den Hautreaktionen bei der Klägerin gekommen sei, weil die verabreichte Dosis wesentli...