Leitsatz (amtlich)
1. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt, wenn der Antragsteller nicht gegen gleichartige Verstöße Dritter vorgegangen ist.
2. Die Aussage, ein Stoff sei "der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung", ist mangels wissenschaftlichen Nachweises irreführend, wenn eine Verstoffwechselung von "null" sich weder aus der Fachinformation noch aus wissenschaftlichen Studien ergibt. Eine auf der Ebene des Verkehrsverständnisses vorzunehmende Umdeutung der Angabe in die Behauptung der Abwesenheit einer "signifikanten" oder "klinisch relevanten" Verstoffwechselung kommt angesichts des klaren Wortlauts der Angabe nicht in Betracht.
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11, §§ 5, 8, 12 Abs. 2; HWG § 3
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 08.09.2011; Aktenzeichen 315 O 187/11) |
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 15, vom 8.9.2011, Geschäfts-Nr. 315 O 187/11, wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Gründe
I. Die Antragstellerin, die Diabetes-Arzneimittel vertreibt, wendet sich gegen eine Werbung der Antragsgegnerin für zwei Diabetes-Arzneimittel.
Die Antragstellerin vertreibt das Produkt X. mit dem Wirkstoff Sitagliptin sowie das Produkt V. mit den Wirkstoffen Sitagliptin und Metformin. Die Antragsgegnerin vertreibt das Produkt J. mit dem Wirkstoff Vildagliptin und das Produkt I. mit den Wirkstoffen Vildagliptin und Metformin. Das Produkt J. ist mit dem seinerzeit von der Fa. N. vermarkteten Produkt G. identisch. Bei den Wirkstoffen Sitagliptin und Vildagliptin handelt es sich jeweils um sog. DPP4-Hemmer, welche die Insulinfreigabe des Körpers steigern und so zur Senkung des Blutzuckerspiegels beitragen. Die Verstoffwechselung (Metabolisierung) von arzneilichen Wirkstoffen erfolgt in der Leber in der Regel unter Einbeziehung des Enzymsystems CYP-450. Wenn zwei Wirkstoffe durch dieselben Enzymsysteme -etwa CYP-450 -verstoffwechselt werden, kann dies Konsequenzen für die Passage der Wirkstoffe im Körper haben, weil -bildlich gesprochen -das mit dem Abbau des einen Wirkstoffs beschäftigte Enzymsystem sich nicht zugleich in vollem Umfang dem Abbau des anderen Wirkstoffs widmen kann.
Die Antragsgegnerin hat für ihre Produkte mit der als Anlage AST 1 vorliegenden Anzeige und der Aussage "Vildagliptin -der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung" geworben. Die Abmahnung der Antragstellerin vom 25.3.2011 hat die Antragsgegnerin unter dem 31.3.2011 zurückgewiesen (Anlage AST 16). Die Antragstellerin mahnte daraufhin zunächst unter dem 1.4.2011 die Fa. S. P. GmbH (Anlage AST 15a) und sodann unter dem 5.4.2011 die Fa. S. P. Deutschland ab (Anlage AST 15). Die Fa. S. P. Deutschland GmbH ist mit Wirkung vom 30.7.2010 auf die Antragsgegnerin verschmolzen worden (Anlagen AST 19 und 19a).
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die angegriffene Angabe beinhalte die Behauptung, dass Vildagliptin nicht über die Leber abgebaut werde und sich folglich der Arzt keine Gedanken über Wechselwirkungen machen müsse, die im Zusammenhang mit dem Abbau von Wirkstoffen über CYP-450 zu erwarten seien. Diese Behauptung, Vildagliptin werde gar nicht über die Leber verstoffwechselt, sei nicht hinreichend wissenschaftlich belegt. Nach dem Inhalt der Fachinformation sei diese Frage explizit offen. Die weitere vorgelegte Studie (Anlage AST 6) habe ergeben, dass Vildagliptin immerhin in geringem Umfang verstoffwechselt werde, nämlich in einem Umfang von 1,6 %. Die angegriffene Angabe sei ferner eine unzulässige Alleinstellungsbehauptung, weil sie in unzutreffender Weise suggeriere, dass der Arzt sich bei Wettbewerbspräparaten nicht sicher sein könne, ob mit CYP-450 induzierten Wechselwirkungen zu rechnen sei.
Die Antragstellerin hat beantragt, es der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, in geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für die Arzneimittel J. und Icandra
1. mit der Aussage zu werben, dass Vildagliptin der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung ist, wie geschehen in der als Anlage abgedruckten Abgabekarte [es folgt der Abdruck der Werbekarte];
2. mit der als Anlage beigefügten Abgabekarte zu werben, sofern im abgedruckten Pflichttext die "S. P. Deutschland GmbH" genannt ist.
Das LG Hamburg, Zivilkammer 15, hat am 20.4.2011 antragsgemäß eine einstweilige Verfügung erlassen.
Im Widerspruchsverfahren hat die Antragsgegnerin vorgetragen: Die Angelegenheit sei nicht mehr dringlich. Die Antragstellerin habe bereits seit über einem Jahr Kenntnis von dem Inhalt der angegriffenen Werbekarte gehabt. Der Mitarbeiter der Antragsgegnerin Herr L. habe der Produktmanagerin der Antragstellerin Frau N., deren Kenntnis sich die Antragstellerin zurechnen lassen müsse, im März 2010 u.a. eine sog. Leitlinienkarte per Email übermittelt, die die auch vorliegend angegriffene Angabe wortgleich in einem Störer enthalten habe. Die angegriffene Ang...