Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Beanspruchung einer Spitzenstellung in Europa durch einen Online-Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist irreführend, für einen Online-Dienst eine Spitzenstellung in Europa zu beanspruchen, wenn diese Spitzenstellung nur für die Kundenzahl (mag diese auch ausdrücklich genannt werden), nicht jedoch für alle Eigenschaften zutrifft, die der Verkehr einem europäischen Online-Dienst zuschreibt.

2. Das gilt auch, wenn der Online-Dienst dabei als „Provider” bezeichnet wird, weil der Verkehr diese Angabe ohne klarstellende Erläuterung nicht nur auf die Anzahl der Anschlüsse zum Internet bezieht, die der Online-Dienst ermöglicht.

 

Normenkette

UWG § 3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 406 O 102/99)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.06.2004; Aktenzeichen I ZR 284/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 6 für Handelssachen, vom 26.1.2000 abgeändert. Die Beklagte wird unter Einbeziehung der zweitinstanzlichen Klageerweiterung ferner verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Wochen, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für ihren Online-Dienst „T-Online” mit folgenden Behauptungen zu werben und/oder werben zu lassen:

a) „T-Online ist Europas größter Onlinedienst” und/oder

b) „T-Online ist der größte Online-Service Europas mit über … Kunden” und/oder

c) „mit mehr als … Kunden ist T-Online Europas größter Online-Service”

und/oder

d) „mit mehr als … Kunden ist T-Online Europas Nr. 1”

und/oder

e) „im Internet liegen ungeahnte Chancen – für alle. T-Online ist Europas gefragtester Zugang zu dieser neuen Welt.”

und/oder

f) „T-Online ist heute schon eines der weltweit größten Internet-Unternehmen.”

und/oder

g) „T-Online ist der größte Internet-Provider Europas.” und/oder

h) „Raten Sie mal, wer Europas größter Provider im Boom-Markt Internet ist! Ach, das wissen Sie schon! Na, denn ist's ja gut! […] die T-Online Aktie kommt!”

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch eine Sicherheitsleistung von 2,56 Mio. DM abwenden, wenn nicht die vollstreckende Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Beklagte ist um 2.500.000 DM beschwert

und beschlossen:

Der Streitwert wird in Ergänzung des Beschlusses vom 13.4.2001 für die Rechtsmittelinstanz auf insgesamt 2.500.000 DM festgesetzt. Davon entfallen auf die Klageerweiterung 500.000 DM.

 

Tatbestand

Die Parteien sind Wettbewerber. Die Klägerin ist ein Gemeinschaftsunternehmen der B. AG und der A. Online Inc. Letztere ist weltweit unter ihrem Firmenschlagwort „AOL” und dem Triangel-Lopo „AOL” bekannt. Sie erzielte im Geschäftsjahr 1998/99 mit etwa 12.100 Mitarbeitern Umsatzerlöse von 4,8 Mrd. US-Dollar und hat zur Zeit über 18 Mio. Kunden, dazu kommen zwei Mio. Kunden der 1998 übernommenen Firma „C”. AOL ist in Europa mit 2,7 Mio. Kunden vertreten, davon sind 900.000 solche der Klägerin, die sowohl Online-Dienste als auch den Zugang zum Internet anbietet.

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen der Deutschen Telekom. Sie bietet ebenfalls Online-Dienste und den Zugang zum Internet an und verfügte bei Klageerhebung mit 3,3 Mio. Kunden über einen Marktanteil von 60 % in Deutschland. Zur Zeit der Berufungsbegründung war die Zahl der Kunden auf etwa 5 Mio. angestiegen. In ihrer Werbung erblickt die Klägerin eine unlautere und irreführende Allein- und Spitzenstellungsberühmung. Sie hat Aussagen in den Anlagen K 23 bis K 29 angegriffen und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung gesetzlicher Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für ihren Online-Dienst „T-Online” mit folgenden Behauptungen zu werben und/oder werben zu lassen:

a) T-Online ist Europas größter Onlinedienst

und/oder

b) T-Online ist der größte Online-Service Europas mit über … Kunden

und/oder

c) mit mehr als … Kunden ist T-Online Europas größter Online-Service

und/oder

d) mit mehr als … Kunden ist T-Online Europas Nr. 1

und/oder

e) T-Online ist Spitzenreiter in Europa.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das LG, auf dessen Entscheidung zur Vervollständigung des Tatbestandes Bezug genommen wird (§ 543 Abs. 2 ZPO), hat die Klage bis auf den Antrag zu e) abgewiesen und dazu ausgeführt: Der Antrag zu a) beschreibe nicht die konkrete Verletzungsform; aus dem Zusammenhang („Über 2,5 Mio. Menschen haben sich bereits für T-Online entschieden, Europas größten Onlinedienst”) ergebe sich eine zutreffende Aufklärung. Auch die Aussagen in den Anträgen zu b), c) und d) beträfen die Kundenzahlen und seien damit richtig. Nur die Aussage „T-Online ist Spitzenreiter in Europa” sei in ihrer konkreten Verwendung als Blickfang irreführend, weil sie keinen Bezug zur Kundenzahl er...

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